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Kernenergie statt Kohle Rumänien plant sechs Mini-Atomkraftwerke nördlich von Bukarest

Als erstes EU-Land will Rumänien vorgefertigte Mini-AKW installieren. Vor Ort weckt das Hoffnungen und Ängste.

Am Dorfrand von Doicesti räumen Bagger die letzten Reste des stillgelegten Kohlekraftwerks weg. Hier, rund 90 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bukarest, sollen in ein paar Jahren sechs kleinformatige Nuklearreaktoren aus den USA Strom produzieren. Rumänien ist das erste EU-Land, dass der neuen Technologie eine Genehmigung erteilt hat.

«Wir haben Angst»

Auf dem Dorfplatz der 4'000-Seelen-Gemeinde ist man geteilter Meinung über das Pionierprojekt. «Die Reaktoren stören mich überhaupt nicht», sagt ein Rentner, der gerade auf sein Fahrrad steigt. Das Atomkraftwerk schaffe Arbeitsplätze und die seien hier dringend nötig. Anders zwei ehemalige Fabrikarbeiterinnen: «Wir haben Angst», sagen sie – vor einem nuklearen Unfall.

Ortsvorsteher Cosmin Stana empfängt zwischen einer Rumänienfahne und den Pokalen, die der örtliche Taubenzüchterverein gewonnen hat. Er hofft, dass die Reaktoren gebaut werden. Die Vorteile für die Gemeinde: 250 neue Arbeitsplätzen und steigende Steuereinnahmen. Angst hat Stana nicht: «Ich glaube nicht, dass jemand eine Bombe mitten in einer Gemeinde platziert.» Der Ortsvorsteher vertraut auf die Fachleute

Weg von der Kohle

Eine der wichtigsten Expertinnen treffen wir in Bukarest: Elena Popescu ist Vizedirektorin im rumänischen Energieministerium. Die Nuklearingenieurin sagt, die kleineren Reaktoren seien weniger riskant als grosse, und zählt die strengen Vorschriften auf, welche die Reaktoren erfüllen müssen.

Baustelle unter bewölktem Himmel mit Fahrzeugen und Bauzäunen.
Legende: Die sechs Mini-Reaktoren sollen auf dem Gelände eines Kohlekraftwerks der rumänischen Gemeinde Doicesti installiert werden. SRF/Roman Fillinger

Lieber aber spricht sie über das Potential der Mini-AKW: «Diese kleinen Reaktoren sind ideal für Gegenden, die bislang von Kohle abhängig waren.» Dort könne die bestehende Infrastruktur der früheren Kohlekraftwerke genutzt werden, was Kosten spare.

Überhaupt sind tiefere Kosten eines der grossen Versprechen der Mini-AKW. Die haben zwar eine kleinere Leistung als grosse AKW. Dafür können sie industriell vorgefertigt und müssen dann vor Ort nur noch montiert werden.

Ungewisse Zukunft für Mini-Reaktoren

Der Haken: Weltweit sind erst wenige Prototypen in Betrieb, in Russland und China. Deshalb sei es derzeit noch nicht möglich, die Kosten für die sechs geplanten Mini-Reaktoren zu beziffern, sagt Elena Popescu.

Gemeindezentrum Doicesti
Legende: Im Gemeindezentrum von Doicesti freut man sich über die Pionierrolle, welche die Region dereinst spielen könnte. Doch kritische Stimmen und Sicherheitsbedenken bleiben nicht aus. SRF/Roman Fillinger

Als erstes europäisches Land, das die neue Technologie bewilligt hat, sei Rumänien ein Risiko eingegangen, sagt auch Popescu. Aber die Pionierrolle sei auch eine Chance: «Wir bereiten nicht nur die rumänische Industrie auf diese neue Technologie vor. Wir bilden auch die Experten dafür aus. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um in diesem Bereich künftig Geschäfte zu machen.»

«Zu, spät, zu teuer, zu riskant»

Bei Greenpeace Rumänien hält man die Mini-AKW für einen Fehler. «Sie sind zu teuer, kommen zu spät und sind zu riskant», urteilt Sprecher Michnea Matache. Richtig alarmiert ist man bei Greenpeace Rumänien dennoch nicht.

Matache geht davon aus, dass die sechs Reaktoren wie vergleichbare Projekte in anderen Ländern nie gebaut würden, weil sie letztlich nicht rentabel betrieben werden könnten. Auf jeden Fall werden die Mini-AKW werden noch viel zu reden geben – nicht nur in Doicesti.

Mini-Kernkraftwerke – Small Modular Reactors SMR

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Small Modular Reactors (SMRs) sind modulare Kernspaltungsreaktoren. Sie sind kleiner als herkömmliche Reaktoren und können daher in einer Fabrik vorgefertigt und dann an den Montageort verbracht werden. Neben einem geringeren Aufwand vor Ort sollen sie eine höhere Risiko-Eindämmungseffizienz und eine höhere Sicherheit der verwendeten Kernmaterialien ermöglichen. Im Vergleich zu konventionellen Kernreaktoren mit höherer Leistung sind die Investitionskosten von SMRs um ein Vielfaches kleiner.

Weltweit wurden ab 2017 von verschiedensten Firmen rund 60 SMR-Konzepte für kleinere, flexiblere Atomreaktoren entwickelt, die seriell und damit kostengünster gefertigt werden sollen. Die ersten Ideen und Entwürfe gehen dabei auf die 1950er-Jahre zurück. Bis 2023 habe nur China und Russland solche landbasierten Mini-Atomkraftwerke im Bau. Russland setzt SMRs eines gewissen Typs seit wenigen Jahren erfolgreich auf Atom-Eisbrechern ein.

In den USA sollte ein erster SMR 2029 Uhr fertiggestellt sein und in Betrieb gehen. Doch im letzten November wurde das Vorzeigeprojekt von NuScale im Bundesstaat Idaho kurz vor dem Antrag auf eine Bau- und Betriebserlaubnis wegen zu hoher Kosten aufgegeben.

Echo der Zeit, 29.07.2024, 18:00 Uhr

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