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Klimakonferenz in Ägypten Der Meeresspiegel steigt – das sind die Szenarien

Das 1.5-Grad-Ziel von Paris droht ausser Reichweite zu geraten, und die Meeresspiegel steigen weiter. Ein Blick in die Zukunft.

In einer heruntergekühlten Halle in Sharm El-Sheik steht der Messestand der Eisforscher. Just zwischen dem Stand zur Windenergie und einem weiteren zur angeblich grünen Erdölförderung. Um 1.2 Grad habe sich die Erde bereits erwärmt, erklärt der französische Wissenschaftler Fabien Maussion von der Universität Innsbruck. Was jetzt mit den Eisschilden an den Polen passiert, vergleicht er mit einem Eiswürfel, der – einmal aus dem Kühlschrank – jetzt vor sich hinschmilzt.

Anstieg trotz aller Massnahmen unvermeidbar

Weil die Gletscher und die Eisschilde an den Polen bis zu vier Kilometer dick sind, dauert das teilweise Auftauen Jahrhunderte. Aber auch wenn jetzt sofort alle Massnahmen zum Klimaschutz umgesetzt würden – Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas und Netto-Null-CO2-Emissionen bis 2050 – würde der Meeresspiegel steigen.

Und zwar wegen der Ausdehnung des Wassers bei höherer Temperatur, des Abschmelzens vieler Gletscher und eines kleineren Teils der Arktis und der Antarktis, wie Forscher Maussion darlegt. Unter diesen Umständen sei – im besten Fall – ein Anstieg des Meeresspiegels von einem halben Meter bis Ende des Jahrhunderts zu erwarten.

Auswirkungen bereits deutlich spürbar

Ein halber Meter tönt nicht nach viel. Aber bereits jetzt, nach einem Anstieg von gut 20 Zentimetern, müssen Häuserreihen nahe an erodierenden Küsten geräumt werden und Sturmfluten dringen weiter ins Land ein. Dies wird sich auch mit dem besten Klimaschutz deutlich verstärken.

Eisforscher Fabien Maussion
Legende: Eisforscher Fabien Maussion: «Die Menschheit muss sich also bereits anpassen und darauf vorbereiten, denn es wird ohnehin stattfinden. Aber es ist noch deutlich weniger schlimm als in einer Zwei- oder Drei-Grad-Welt.» SRF/Christian von Burg

Auch in diesem besten und ersten Szenario wird der Meeresspiegel später aber weiter steigen – auf zwei bis drei Meter bis gegen Ende 2300. Städte wie Venedig, New York oder flache Küstengebiete wie in Bangladesch würden dann unter Wasser stehen und könnten ohne Riesen-Deiche nicht gehalten werden.

Unsicherheitsfaktor Westantarktis

Leider wird es aber laut Maussion wahrscheinlich schlimmer kommen. Denn noch ist unklar, ob riesige Eismassen wie etwa der «Thwaites»-Gletscher in der Westantarktis bereits den Kipppunkt erreicht haben und abschmelzen. Die Wissenschaft brauche noch etwas Zeit, um den extrem komplexen Prozess zu untersuchen: «Die Hoffnung besteht, dass das Eis noch stabil ist und nicht zum Meeresspiegel beiträgt.»

Thwaites-Gletscher.
Legende: Blick auf den Thwaites-Gletscher in der Westantarktis im Jahr 2019. Keystone/Britisch Antarctic Suvey/Robert Larter

Der «Thwaites»-Gletscher taut im Kontakt mit dem wärmeren Meerwasser ab. Ist eine bestimmte Schwelle überschritten, fliesst das Wasser unter den Gletscher und riesige Eismassen rutschen nach und nach ins Meer. Wäre das der Fall, würde sich der Meeresspiegel deutlich schneller erhöhen.

Die Hochrisiko-Szenarien

Kommt hinzu, dass die Weltgemeinschaft nicht auf dem Weg zu einem schnellen Klimaschutz ist. Was passieren würde, wenn die Staaten nur das umsetzen, was sie bisher an Klimaschutzmassnahmen angekündigt haben, zeigt ein zweites Szenario: Die Welt würde sich bis Ende Jahrhundert um knapp drei Grad erwärmen, und der Meeresspiegel bis 2300 um fünf bis zehn Meter ansteigen – je nach Abtauprozess in der Westantarktis noch mehr.

«Das sind die Hochrisiko-Szenarien, wo das Eis derart dynamisch ausdünnt, dass es extrem viel Wasser zum Meeresspiegel führt. Wir können nicht hundertprozentig sicher sein, dass es stattfindet, aber es ist eine Möglichkeit», sagt Maussion. Er vermutet, dass die Welt irgendwo zwischen den Szenarien eins und zwei landen wird. Allerdings müsse dafür weitergekämpft werden, um noch eine Chance zu haben, und diese Chance bestehe.

Echo der Zeit, 18.11.2022, 18:00 Uhr

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