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Klimaschutz als Menschenrecht Was bedeutet das UNO-Klimaschutzgutachten für die Schweiz?

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) hat erstmals in einem Gutachten den Klimaschutz als Menschenrecht definiert. Länder, die zu wenig fürs Klima tun, verletzen demnach das Völkerrecht. Umweltbotschafter Franz Perrez vom EDA schätzt mögliche Folgen für die Schweiz ein. Als Leiter der Völkerrechtsdirektion im EDA vertrat er die Schweizer Position vor dem höchsten UNO-Gericht.

Franz Perrez

Leiter der Völkerrechtsdirektion im EDA

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Franz Perrez amtet seit 2023 als Leiter der Völkerrechtsdirektion im EDA. Zuvor war er seit 2010 Umweltbotschafter der Schweiz und leitete in dieser Funktion die Schweizer Delegationen an internationalen Umwelt- und Klimaverhandlungen.

SRF News: Was bedeutet dieses neue Gutachten für die Schweiz?

Franz Perrez: Das Gutachten klärt insbesondere die Frage der Differenzierung zwischen den Staaten. Denn oft wurde bisher argumentiert, dass ehemalige Industriestaaten mehr Pflichten haben als andere. Jetzt ist festgehalten, dass alle Staaten zum Klimaschutz verpflichtet sind. Ebenso wird klargemacht, dass die Verantwortlichkeiten aufgrund der heutigen Realität und nicht aufgrund der Vergangenheit beurteilt werden. Das wird Einfluss auf die weiteren Verhandlungen haben.

Welche Ergebnisse eine Prüfung der Einzelstaaten ergeben würde, ist noch offen.
Autor: Franz Perrez Schweizer Umweltbotschafter

Kann es also weltweit und auch in der Schweiz zu weiteren Klagen kommen?

Neue Klagen sind immer möglich. Das Gutachten hält fest, dass eine Verantwortlichkeit für Schäden und eine Schadenersatzpflicht besteht, wenn Völkerrecht verletzt wird. Gleichzeitig betont das Gericht, dass die Staaten nicht individuell angeschaut wurden, sondern die Staatengemeinschaft als Ganzes. Welche Ergebnisse eine Prüfung der Einzelstaaten ergeben würde, ist noch offen.

Bisher hat die Schweiz ihre Klimaziele verfehlt. Hätten Klagen jetzt rechtlich eine Chance?

Das kommt auf die Frage an, die gestellt wird. Im Fall der Schweizer Klimaseniorinnen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg lediglich festgehalten, dass die Schweiz zu wenig für den Klimaschutz tut. Offen blieb, wie viel die Schweiz machen soll. Auch das UNO-Gericht definiert nicht, was genügend ist.

Aktivistin in Den Haag
Legende: Eine Aktivistin wartet am 23. Juli 2025 von dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag auf das Klimagutachten. Keystone / AP / PETER DEJONG

Warum ist die Beurteilung der Länder auf dem aktuellen und künftigen Stand so wichtig?

Der Klimaschutz kann nur sichergestellt werden, wenn gegenwärtige und künftige Emissionen reduziert werden. Das bedeutet, dass Länder, die heute grosse Emissionen und Kapazitäten haben, mehr in die Pflicht genommen werden als andere. Grosse Schwellenländer wie China, Korea oder Saudi-Arabien versteckten sich bisher hinter ihrem Status als Entwicklungsland. Nun sollen die heutigen Umstände bestimmen, was noch ein Entwicklungsland ist.

Wird der Druck auf die Industrienation Schweiz steigen?

Der Druck, mehr zu unternehmen, wird auf alle Staaten erhöht. Dieser Punkt im Gutachten ist nichts Neues. Das hat die Schweiz in ihrer Eingabe auch so festgehalten. Der Druck wird also steigen, aber wohl nicht spezifisch auf die Schweiz, sondern auf jene Länder mit sehr hohen Emissionen.

Im Grundsatz scheint der Ansatz der Schweizer Klimaseniorinnen bestätigt worden zu sein.
Autor: Franz Perrez Schweizer Umweltbotschafter

Wie sehen Sie das UNO-Gutachten mit Blick auf das Klimaseniorinnen-Urteil? Muss die Schweiz mehr tun?

Diese Verantwortung hat die Schweiz und sie hat dies auch nie bestritten. Die Schweiz hat ihre Klimaziele nachgebessert. Aber es ist nicht an mir, die schweizerische Klimapolitik zu beurteilen. Das UNO-Gutachten hält fest, dass der Schutz des Klimasystems eine Voraussetzung sei, um auch die Menschenrechte schützen zu können. Doch die Abgrenzung zwischen einem Recht auf eine gesunde Umwelt und der Verpflichtung zum Klimaschutz, um den Schutz der Menschenrechte sicherzustellen, ergibt nicht genau das Gleiche. Im Grundsatz scheint aber der Ansatz der Schweizer Klimaseniorinnen bestätigt worden zu sein.

Der historische Sieg der Klimaseniorinnen von 2024

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Der Verein «Klimaseniorinnen» hat im April des vergangenen Jahres in Strassburg ein beispielloses Urteil erwirkt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gab den Klägerinnen recht, dass die Schweiz im Kampf gegen den Klimawandel zu wenig unternehme. Mit dem mangelnden Klimaschutz habe die Schweiz die klagenden Seniorinnen in ihren Menschenrechten gemäss Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt. Die Frauen seien in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben und in ihrem Recht auf ein faires Verfahren betroffen. Auch liefere die Schweiz keine ausreichenden und überzeugenden Argumente, warum sie auf die Beschwerde des Vereins nicht eingetreten sei.

Medien im In- und Ausland bezeichneten das Urteil als «bahnbrechend», denn erstmals überhaupt bestätigte ein internationales Gericht den Zusammenhang zwischen der Klimakrise und den Menschenrechten. Es war zugleich die erste Klimaklage, die am EGMR gutgeheissen wurde. Innenpolitisch stiess das Klimaurteil auf viel Kritik. Die Schweiz solle diesem nicht weiter Folge leisten, forderten Politikerinnen und Politiker von rechts bis in die Mitte.

Der Bundesrat bekannte sich Ende August 2024 zur Mitgliedschaft der Schweiz im Europarat. Die Regierung würdigte die Auslegung der EMRK bezogen auf den Klimaschutz kritisch und stellte sich auf den Standpunkt, dass die Schweiz die klimapolitischen Anforderungen des Urteils erfüllt. Und zwar mit dem ein Jahr zuvor verabschiedeten CO₂-Gesetz, das im EGMR-Urteil noch nicht berücksichtigt sei. Im März 2025 kam das Ministerkomitee des Europarats zum Schluss, dass die Schweiz mehr unternehmen müsse, um das Urteil der Klimaseniorinnen umzusetzen. Bis im Herbst soll die Schweiz das Ministerkomitee über ihre Klimastrategie informieren.

Das Gespräch führte Raphaël Günther.

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SRF 4 News aktuell, 24.7.2025, 06:20 Uhr ; 

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