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UNO-Gerichtshof Klimaschutz ist vor der Justiz einklagbar

Zu was sind Staaten im Kampf gegen die Erderwärmung verpflichtet? Und was haben sie zu befürchten, wenn sie dem nicht nachkommen? Diese beiden Fragen musste das oberste UNO-Gericht klären.

Es tat das in einem Gutachten, in dem es deutlich macht: Eine entschlossene Klimapolitik ist nicht bloss eine Option, sondern eine auch vor Gericht einklagbare Pflicht. Das erhöht den Druck auf säumige Regierungen.

Grundsatzentscheid zur Gerichtsbarkeit von Klimafragen

«Nur mit entschlossenem Handeln lässt sich der Klimakrise begegnen», forderten die Demonstrantinnen und Demonstranten, die sich vor dem Sitz des Internationalen Gerichtshof versammelt hatten: «Die Staaten müssen handeln – und zwar jetzt», tönte es in Sprechchören.

Drinnen verlas Gerichtspräsident Yuji Iwasawa das seit Monaten mit Spannung erwartete mehr als 500-seitige Gutachten. Obschon es sich gar nicht um ein Urteil handelt, ging ihm das grösste je vor dem höchsten UNO-Gericht durchgeführte Verfahren voraus. Gut hundert Staaten, UNO-Fachleute und eine Vielzahl von Nichtregierungs­organisationen wurden angehört oder reichten schriftliche Stellungnahmen ein.

Bereits am Anfang machte der vorsitzende Richter klar: Ja, Klimamassnahmen sind juristisch einklagbar. Staaten, die zu wenig tun, können deswegen rechtlich belangt werden.

Massnahmen auf Basis des Pariser Klimaabkommens

Angestossen hatten das Verfahren Studierende aus südpazifischen Inselstaaten, deren Existenz durch die Erderwärmung und den Anstieg des Meeresspiegels bedroht ist. Sie machten Druck auf ihre Regierungen und diese wiederum trugen das Anliegen in die UNO-Generalversammlung. Sie beauftragte dann 2024 – mit grossem Mehr und ohne Gegenstimme – den Gerichtshof in Den Haag, ein Rechtsgutachten zu erstellen.

Und das Gericht gelangt nun zum Schluss, dass die Erderwärmung eine akute Bedrohung der Welt darstellt.

Die Risiken seien enorm, weshalb sämtliche Staaten nicht nur politisch, sondern auch rechtlich zum Handeln verpflichtet seien. Sie müssen Massnahmen gegen den vom Menschen verursachten Klimawandel treffen. Und zwar basierend auf dem Pariser Klimaabkommen. Zudem wird festgehalten, eine saubere, gesunde, nachhaltige Umwelt sei ein Menschenrecht.

Bei der Verantwortung der Staaten herrscht nun Klarheit

Daraus ergibt sich auch, dass Investitionen in den Klimaschutz zwingend sind. Ebenso sind Beiträge, welche wohlhabende Länder ärmeren zahlen, nicht freiwillig und können nicht von jeder Regierung nach Gutdünken festgelegt werden. Vielmehr sind sie obligatorisch und sollen so hoch ausfallen wie verkraftbar für einen Staat.

Damit weisen die Richter reichen Ländern eine besondere Verantwortung zu.

Das Gutachten aus Den Haag ist zwar nicht bindend. Aber es wird Konsequenzen haben. Es stützt überdies bisherige Gutachten und Urteile internationaler Gerichte wie jenes des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall der Schweizer Klimaseniorinnen oder eine Einschätzung des UNO-Seegerichtshofs.

Vor allem öffnet es weltweit es die Türen für Klagen auch vor nationalen Gerichten, wann immer Regierungen ihren Klimaschutzpflichten nicht nachkommen. Denn es schafft nun Klarheit, dass das Völkerrecht in Sachen Klima einiges von Staaten verlangt und was es verlangt. 

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Echo der Zeit, 23.7.25, 18 Uhr;liea

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