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Koalition der Verlierer Belgien hat eine neue Regierung ohne Zukunft

Knapp 40 Mal öffnete König Philippe seit Mai 2019 sein Palasttor und schickte anschliessend Parteipräsidenten aller Couleur los. In unterschiedlichsten Konstellationen, Fraktionschefs aller Sprachen und Regionalpolitikerinnen unterschiedlichster Profile, um minimale politische Konsenslinien auszuloten.

Regierungskoalition in Belgien vereinbart

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de Croo, König Philippe, Magnette (v.l.n.r.)
Legende: Keystone

16 Monate nach der Parlamentswahl in Belgien haben sich sieben Parteien auf eine neue Regierungskoalition geeinigt. Neuer Ministerpräsident soll der flämische Liberale Alexander De Croo (l.) werden. Er war einer von zwei offiziellen Unterhändlern. Der zweite war der wallonische Sozialist Paul Magnette (r.).

An der sogenannten Vivaldi-Koalition beteiligt sind die Grünen, die Liberalen und die Sozialdemokraten aus beiden Landesteilen sowie die flämischen Christdemokraten. Nicht dabei sind die flämischen Nationalisten der N-VA. Die Partei wurde bei der Wahl im Mai 2019 mit 16 Prozent der Stimmen stärkste Kraft.

Erfolgreich war niemand. Das ist nicht überraschend: Die Parlamentswahlen vor anderthalb Jahren waren Superwahlen. Gleichzeitig wurden vier Regionalparlamente, das nationale Parlament und die Abgeordneten für das europäische Parlament gewählt.

Der rechte Norden gegen den linken Süden

Das Ergebnis war eine totale politische Spaltung des Landes. Im flämischen Norden räumte der rechtsextreme Vlaams Belang ab. Im frankofonen Süden, in Wallonien, gewannen die Kommunisten. Verlierer waren alle anderen.

Eine weitere belgische Besonderheit lähmt die nationale Politik: Es fehlen nationale Parteien. Grüne, Sozialdemokraten, Liberale, Christdemokraten gibt es jeweils in doppelter Ausführung – ohne gemeinsames Programm, ohne gemeinsame Sprache. Und alle Parteien schlossen aus, mit den Wahlsiegern, der extrem Linken im Süden und der äussersten Rechten im Norden, eine Koalition zu bilden.

Parteien haben keine Gemeinsamkeiten

«Bonne chance, vel geluk», unter diesen Voraussetzungen etwas politische Stabilität zu finden. Der Einzige, der nichts zu verlieren hatte, verlor nie die Geduld: der König. «Rauft euch zusammen!», lautete sein letzter Auftrag.

Eine Vivaldi-Koalition soll es nun sein. Vivaldi, in Analogie zu den Gemeinsamkeiten der vier Jahreszeiten. Gemeinsamkeiten gibt es keine.

Sieben Parteien sind dabei: sozialdemokratisches Rot im Norden und Süden, liberales Blau aus Nord und Süd, Grün aus Nord und Süd und katholisches Orange aus dem Norden. Ein Liberaler aus dem flämischen Norden darf den Premier spielen. Seine Partei landete bei den letzten Wahlen auf Platz sieben.

Schulden wegen politischer Geschenke

Das sagt eigentlich alles. Wochenlang wurden nun ein Regierungsprogramm und ein Budget ausgehandelt, das es jeder Partei dieser «Koalition der Verlierer» erlaubt, mit Mehrausgaben bei den Wählerinnen zu glänzen.

Die Folge: Die Staatsschulden Belgiens explodieren nicht nur wegen des Pandemie-bedingten Lockdowns, sondern weil breit herum politische Geschenke verteilt werden. Ob das alles hält, kann sich niemand vorstellen.

Belgien mag eine neue Regierung haben. Doch diese Regierung hat keine Zukunft. In Belgien ist das aber ganz normal.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

Info 3, 30.09.2020, 12:00 Uhr

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