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Geringe Hoffnung auf Waffenruhe in der Ost-Ukraine
Aus Echo der Zeit vom 23.07.2020. Bild: Keystone
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Konflikt in der Ostukraine «Die Menschen leben in einer permanenten Ausnahmesituation»

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga ist ins Kriegsgebiet der Ostukraine gereist. Über den Krieg wird in der Öffentlichkeit kaum noch gesprochen, obwohl die Situation nach sechs Jahren weiterhin brenzlig ist. SRF-Korrespondent David Nauer über einen Krieg, der zur Normalität geworden ist.

SRF News: Wie ist die aktuelle Lage in der Ostukraine?

David Nauer: Es wird immer noch gekämpft. Die OSZE ist mit Beobachtern vor Ort und meldet jeden Tag hunderte von Verstössen gegen die Waffenruhe. Immer wieder gibt es Todesopfer. Allein die Ukrainer haben in diesem Jahr bereits gegen 40 getötete Soldaten gemeldet.

Sommaruga bei einer Wasserpumpstation in der Nähe von Donetsk, 23. Juli 2020
Legende: Gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski besuchte Simonetta Sommaruga heute das Konflitgebiet in der Ostukraine. Dort ist die Lage fragil wie eh und je. Keystone

Der Konflikt dreht sich im Kreis. Wie gestaltet sich der Alltag für die Menschen?

Schwierig. Von meinem letzten Besuch in der Region weiss ich, dass auf der ukrainischen Seite nur die unmittelbaren Frontgebiete vom Krieg betroffen sind. Fährt man einige Kilometer von der Front weg, herrscht fast normales Leben. Anders ist es in den international nicht anerkannten «Volksrepubliken», also den Separatistengebieten. Dort leben die Menschen permanent in einer Ausnahmesituation.

Karte des Ukraine-Konflikts.
Legende: SRF

Wie autonom funktionieren die selbsternannten Republiken Donetsk und Luhansk?

Sie haben eine eigene Verwaltung, eine eigene Armee und eine Art eigene Identität. Sie sind aber enorm von Russland abhängig. Man muss dazu sagen, dass die Gebiete für Journalisten schwer zugänglich sind – auch schon vor Corona und jetzt erst recht. Die Informationen, die man bekommt, zeichnen ein Bild von extrem autoritären Regimen und zunehmenden wirtschaftlichen Problemen.

Russland scheint ein doppeltes Spiel zu spielen.

Kürzlich streikten etwa Bergbauarbeiter in der Region, weil sie ihre Löhne nicht mehr bekommen haben. Der Geheimdienst der Separatisten griff ein und nahm mehrere Streikende fest. Sie verschwanden für einige Zeit in den Kellern der Sicherheitsbehörden.

Kreislauf von Waffenruhen und Kämpfen

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Über die Jahre wurde im Ostukraine-Konflikt bereits mehr als 20 Mal ein Waffenstillstand geschlossen. Ohne Erfolg. «Das Hauptproblem ist, dass auf beiden Seiten das Vertrauen fehlt. Sie sind extrem misstrauisch», sagt Nauer. Das zeigte sich auch kürzlich: Die Ukrainer wollten einen verletzten Soldaten bergen und einigten sich nach eigenen Angaben auf eine Feuerpause mit den Separatisten. Als die Sanitäter vorrückten, wurden sie beschossen. Einer der Sanitäter wurde tödlich getroffen. «Bei jeder Gelegenheit wird geschossen. Weil sich die Truppen an der Front sehr nahe stehen, kommt es so dauernd zu Gefechten», erklärt der SRF-Korrespondent für die Ukraine.

Am Mittwoch wurde gemeldet, dass eine neue Waffenruhe vereinbart worden sei. Ab Sonntagnacht sollen die Waffen allumfassend schweigen – beide Seiten haben das bestätigt. Nauer glaubt nicht, dass die neuerliche Ankündigung einen Durchbruch im verfahrenen Konflikt bringt. «Ich habe mit zwei Leuten in Kiew gesprochen. Beide haben nur den Kopf geschüttelt und gesagt, es gebe keinen Grund zu glauben, dass diese Waffenruhe halten soll. Es gibt Hoffnung, aber kaum richtigen Glauben.»

Die selbsternannten Republiken sind demnach stark abhängig von Russland. Es befeuert den Konflikt also weiter?

Russland scheint ein doppeltes Spiel zu spielen: Bei den Verhandlungen in Minsk verhält es sich wie eine unbeteiligte Macht, wie ein Beobachter. Es beharrt darauf, dass die Ukrainer direkt mit den Separatisten verhandeln – denn Russland selbst sei ja keine Konfliktpartei. Faktisch versorgt Moskau die Separatisten aber mit Waffen und Geld.

Durch den Konflikt hat sich der West-Kurs der Ukraine noch verstärkt.

Das heisst: Ohne Russland gäbe es die «Volksrepubliken» gar nicht. Hinzu kommt, dass der Kreml begonnen hat, sehr aktiv russische Pässe an die Bewohner dieser Gebiete zu verteilen. In Zukunft wird Russland also stets sagen können, dass dort seine Bürger leben und es damit sein Einflussgebiet ist.

Einschlusslöcher in einer Wand in einem Dorf bei Donetsk, 20. Mai 2020
Legende: In den von den Separatisten beanspruchten Gebieten sind die Spuren des schwelenden Konfliktes unübersehrbar. Russland schürt ihn weiter: So soll der Kreml bereits an über 200'000 Einwohner russische Pässe ausgestellt haben, wie Nauer berichtet. Keystone

Moskau wurde immer vorgeworfen, es gehe vor allem darum, zu verhindern, dass sich die Ukraine dem Westen – namentlich der EU – annähert. Ist das gelungen?

Nein, im Gegenteil. Durch den Konflikt hat sich der West-Kurs der Ukraine noch verstärkt. Aber die anhaltenden Kämpfe schwächen die Ukraine, einerseits wirtschaftlich. Denn sie schrecken Investoren ab. Andererseits geht es auch politisch viel weniger schnell voran als es nötig wäre. Gerade bei der Korruptionsbekämpfung und anderen Reformen.

Manchmal hat man den Eindruck, dass die ukrainische Elite den Krieg als Ausrede nimmt, keine Reformen voranzutreiben. Das lähmt die Entwicklung im Land – auch die Entwicklung hin zu Europa und hin zu Werten wie Rechtsstaat und Demokratie.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

Video
Simonetta Sommaruga zu Besuch in der Ukraine
Aus Tagesschau vom 21.07.2020.
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Echo der Zeit vom 23.07.2020, 18 Uhr;

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