Die letzten vier Jahre waren für die US-amerikanischen Konservativen – die Republikanische Partei – eine besondere Zeit. Mit Donald Trump war ein Präsident im Amt, wie es ihn noch nie zuvor gegeben hat. Am 6. Januar sei es schliesslich zum Showdown zwischen den Kräften gekommen, sagt Francis Cheneval, Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich.
SRF News: I st Donald Trump überhaupt ein Konservativer?
Francis Cheneval: Er gehört einem restaurativen Konservatismus an, der im eigentlichen Begriff von Konservatismus keinen Platz hat. Altbewährte Institutionen werden von ihm nicht bejaht und bewahrt, sondern unterhöhlt. Das bringt Trumps Motto «Make America Great Again» zum Ausdruck.
Die ‹White Supremacy›-Anhänger wollen einem idealisierten Zustand eines weissen Amerikas der Vergangenheit wieder zur Macht verhelfen.
Damit wird auf irgendeinen idealisierten Zustand in der Vergangenheit angespielt, der vermeintlich einmal bestanden hat und jetzt wiederhergestellt werden soll – dies aber unter Bedrohung der bestehenden Institutionen.
Was heisst das für die Republikaner?
Sie sind konfrontiert mit der Möglichkeit einer Unterwanderung durch reaktionäre Kräfte, die nicht bewahrend auf den Ist-Zustand einwirken wollen, sondern eine ganz andere Agenda haben. Den Republikanern ergeht es momentan so mit den «White Supremacy»-Anhängern, die einem idealisierten Zustand eines weissen Amerikas der Vergangenheit wieder zur Macht verhelfen wollen. In der Geschichte sind traditionelle konservative Bewegungen immer wieder unterwandert worden von tendenziell reaktionären, restaurativen und sogar faschistischen Bewegungen.
Wann hat diese Unterwanderung angefangen?
Trump ist nur das letzte Glied einer Kette, wenn mit ihm auch eine sehr starke Verstärkung eingesetzt hat. Aber das Zusammengehen der Republikanischen Partei mit fundamentalistischen, evangelikalen Bewegungen geht weiter zurück in der Geschichte. Man kann das bis in die Nixon-Ära zurückverfolgen.
Diejenigen, die das gemerkt haben, werden sicher auf eine Veränderung der Parteilinie hindrängen.
Doch jetzt wurde das Fass quasi zum Überlaufen gebracht. Zwischen den traditionell-konservativen Kräften in der Partei und dem Präsidenten, der den reaktionären Flügel vertritt, ist es zu einem Showdown gekommen.
Droht nun die Spaltung der Republikanischen Partei?
Ich glaube, dass der 6. Januar, der Tag des Sturms auf das Kapitol, ein Tag der Bewusstwerdung war für viele Konservative. Sie haben es bisher vielleicht noch nicht so wahrgenommen, dass der Konservatismus stark bedroht ist von Kräften, die das Gegenteil wollen und anti-konservativ, umstürzlerisch, reaktionär, revolutionär wirken. Diejenigen, die das gemerkt haben, werden sicher auf eine Veränderung der Parteilinie hindrängen. Und diejenigen, die eher zum reaktionären Flügel gehören, müssen wohl Farbe bekennen.
Gibt es in Europa ähnliche Entwicklungen?
Ja, insbesondere in Deutschland während der Entwicklung des Nationalsozialismus. Die Konservativen haben sich zunächst in strategische Allianzen einbinden lassen. Dann wurden sie von faschistischen Kräften unterwandert. Daraus hat man in Europa gelernt. So findet in Deutschland eine klare Abgrenzung statt, etwa der CDU und CSU gegenüber rechtsextremen reaktionären Strömungen. Das erklärt auch die Entstehung der AfD. Insgesamt ist es den Europäern bewusster, dass der Konservatismus Gefahr läuft, sein Gesicht, seine Substanz zu verlieren, wenn er in Bedrängung kommt und strategische Allianzen mit reaktionären Kräften eingeht.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.