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Kontrollen und Geldforderungen Migrant aus Myanmar: «Ich hatte wahnsinnige Angst»

In Thailand leben Millionen Migrantinnen und Migranten aus Myanmar – viele ohne gültige Papiere. Das macht sie besonders verwundbar. Immer wieder berichten sie von Erpressung durch die Polizei.

Ba Sai sitzt im Schneidersitz auf dem Boden der kleinen Wohnung ausserhalb Bangkoks. Gemeinsam mit zwei anderen Schülern wiederholt er die Laute seines burmesischen Lehrers. In der Ecke schläft ein Arbeiter, eingewickelt in eine Decke – scheinbar ungestört vom Thailändisch-Unterricht.

Ba Sai ist 21 Jahre alt und heisst in Wirklichkeit anders. Vor über einem Jahr floh er vor dem Bürgerkrieg in Myanmar nach Thailand. Seither arbeitet er in einer Fabrik und sortiert Crevetten.

Festnahme auf der Strasse

«Ich ging am Abend raus auf die Strasse und wurde von Polizisten angehalten. Sie fragten mich, ob ich einen Reisepass besässe. Als ich nein sagte, nahmen sie mich mit.» Gemeinsam mit anderen Arbeitsmigranten landet Ba Sai auf der örtlichen Polizeiwache.

Gruppe von Schülern schreibt in Notizbüchern im Sitzen auf dem Boden.
Legende: Ba Sai hat in Thailand Arbeit gefunden. Er will sich hier ein Leben aufbauen, Sprachunterricht gehört dazu. SRF / Martin Aldrovandi

Die Beamten hätten die Festgenommenen in zwei Gruppen aufgeteilt, erzählt Ba Sai. Jene mit gültiger Aufenthaltsbewilligung und jene ohne. Da er keine Arbeitsbewilligung besitzt, verlangen die Beamten Geld: 5000 Baht – umgerechnet knapp 130 Franken. Für Ba Sai ist das rund ein halber Monatslohn – Geld, das er nicht hat.

Er habe wahnsinnige Angst gehabt, erinnert sich Ba Sai. «Es war so schwierig, hierherzukommen und ich wollte auf keinen Fall zurückgeschickt werden.» Ba Sai darf einen Anruf tätigen. Zum Glück hebt ein Freund ab – und: leiht ihm das Geld. Ba Sai kommt frei.

Flucht von Myanmar nach Thailand

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Die Internationale Organisation für Migration der UNO (IOM) schätzt, dass über vier Millionen Menschen aus Myanmar derzeit in Thailand leben. Ein grosser Teil davon ohne gültige Papiere, was sie besonders vulnerabel macht.

Nach dem Militärputsch von 2021 ist Myanmar immer weiter im Bürgerkrieg versunken. Viele fliehen über die Grenze nach Thailand. Diese hat eine Länge von 2400 Kilometern und ist der grösste Überland-Migrationskorridor in Südostasien. Thailand hat die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet.

Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch werden Menschen, die vor der Militärjunta in Myanmar geflohen sind und in Thailand Sicherheit suchen, systematisch erpresst. Polizisten drohen ihnen mit Verhaftung und Abschiebung nach Myanmar, wenn sie keine Bestechungsgelder zahlen.

Beamte fahren Migranten zu Bankomaten

Auch Pa Go, der legal in Thailand lebt, berichtet von Erpressung. Auch er heisst in Wirklichkeit anders. Der 32-Jährige betreibt einen Kleintransport und geriet mit fünf burmesischen Passagieren in eine Polizeikontrolle. Keiner der Passagiere hatte einen gültigen Ausweis.

Mann im weissen Shirt hält ein Smartphone, sitzt auf kariertem Boden.
Legende: Pa Go zahlte für seine Passagiere aus Myanmar und war froh, dass ihm kein Gefängnis drohte. SRF / Martin Aldrovandi

«Ich war erleichtert – die Beamten wollten nur Geld und steckten uns nicht ins Gefängnis», so Pa Go. Die Forderung: 100’000 Baht, umgerechnet 2500 Franken. Pa Go beginnt mit den Beamten zu feilschen. Am Ende zahlte er etwas mehr als die Hälfte – die Polizisten hätten ihn zum Bankomaten gefahren.

Erpressung mit System

Laut Human Rights Watch sind Fälle wie diese keine Ausnahmen. Die Organisation spricht in ihrem neuesten Bericht von systematischem Missbrauch durch Behörden.

Die bekannte Menschenrechtsanwältin Angkhana Neelaphaijit erklärt, warum sich daran kaum etwas ändert: «Viele glauben, dass Menschen aus Myanmar nur unsere Ressourcen nutzen.»

Ältere Frau in schwarzem Kopftuch und weissem Blazer vor Pflanze und Jalousie.
Legende: Angkhana Neelapaijit engagiert sich seit dem Verschwinden ihres Mannes im Jahr 2004 für Menschenrechte. SRF / Martin Aldrovandi

Dabei ist Thailands Wirtschaft stark auf die Arbeitskraft der burmesischen Migranten angewiesen – ob in der Fischerei, auf dem Bau oder als Haushaltshilfen.

Ein Alltag in Angst

Ba Sai versucht, sich in Thailand ein Leben aufzubauen. Er besucht weiter den Sprachunterricht, auch um bei Kontrollen die Beamten besser verstehen zu können. Doch Anfang Juli wird er erneut festgenommen – wieder muss er zahlen.

Für viele wie ihn bleibt das Leben in Thailand ein ständiger Balanceakt: arbeiten, lernen – und möglichst nicht auffallen.

Echo der Zeit, 12.08.2025, 18 Uhr

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