Seit knapp einem halben Jahr herrscht im Sudan Krieg und eine dauerhafte Waffenruhe ist derzeit nicht in Sicht. Fast fünf Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Mirjana Spoljaric Egger, hat die Konfliktregion im Osten des Landes besucht und ihre Eindrücke geschildert.
SRF News: Sie waren im Osten des Tschads an der Grenze zum Sudan. Was haben Sie vor Ort erlebt?
Mirjana Spoljaric Egger: Über diesen Grenzübertritt sind in den letzten Wochen und Monaten rund 400'000 Menschen aus dem Sudan geflüchtet und es kommen täglich Tausende dazu. Die humanitäre Situation an der Grenze ist sehr ernst. Die Zahl der Flüchtlinge übersteigt um ein Vielfaches die der lokalen Bevölkerung, die selbst sehr wenig oder fast nichts hat. Wir müssen dringend mehr Hilfe in die Region bringen können.
Der Tschad ist eines der ärmsten Länder der Welt. Wie schafft es das Land, diesen Flüchtlingsstrom zu bewältigen?
Trotz der Grosszügigkeit, die das Land den Flüchtlingen entgegenbringt, können weder medizinische Hilfe noch Nahrungsmittel bereitgestellt werden, denn die Lokalbevölkerung ist selbst darauf angewiesen. Die Flüchtlinge brauchen Wasser und dringendst medizinische Versorgung. Das IKRK versucht, die Spitäler zu unterstützen. Das reicht aber kaum.
Die UNO spricht von mittlerweile fünf Millionen Menschen, die auf der Flucht sind. Was bedeutet das für die Region?
Die grösste Zahl der Flüchtlinge wird in den Nachbarländern aufgenommen. Diese Länder sind teilweise sehr grosszügig und lassen die Flüchtlinge bedingungslos ankommen. Aber es fehlt ihnen an Mitteln, sie zu versorgen. Die Stadt Adré zum Beispiel ist zehnmal kleiner als die Zahl der Flüchtlinge. Keine Stadt der Welt könnte eine derart grosse Zahl an Flüchtlingen aufnehmen, die ihre lokale Bevölkerung um das Zehnfache übersteigt. Wir müssen diesen Anrainerstaaten helfen.
Es liegt in der Verantwortung der Politik, Druck auf die bewaffneten Gruppen auszuüben, damit die humanitäre Waffenruhe durchgesetzt werden kann.
Bisher ist im Sudan keine anhaltende Waffenruhe zustande gekommen. Steht das Land vor einer ausweglosen Situation?
Der erste Schritt zu einem Friedensabkommen ist humanitär. Das heisst, wir brauchen eine humanitäre Waffenruhe. Es liegt in der Verantwortung der Politik, Druck auf die bewaffneten Gruppen auszuüben, damit die humanitäre Waffenruhe durchgesetzt werden kann. Wir müssen beidseitig der Grenzen ungehindert Hilfe leisten können. Das ist heute nicht der Fall.
Heute sind wir fast nicht in der Lage, wenigstens ein Minimum an Hilfe bereitzustellen.
Der Krieg droht die gesamte Region in eine humanitäre Krise zu stürzen. Eine Region, die medial wenig Aufmerksamkeit erfährt und international kaum Geld bekommt. Macht Sie das wütend?
Es frustriert mich, wenn ich Kinder sehe, die leiden, die ihr Leben verlieren auf der Flucht, oder verloren gehen und von ihren Eltern getrennt werden. Was mich aber auch frustriert, ist, dass die Unterfinanzierung unserer Programme in Afrika in den letzten fünf Jahren um ein Achtfaches zugenommen hat. Wir sind heute weit weniger in der Lage, den humanitären Bedürfnissen in Afrika zu begegnen, als dies noch 2003 der Fall war. Heute sind wir fast nicht in der Lage, wenigstens ein Minimum an Hilfe bereitzustellen.
Das Gespräch führte Natascha Schwyn.