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Krieg im Südkaukasus Korrespondent: «Die Lage in Berg-Karabach ist ernst»

Der gewaltsame Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach ist einmal mehr eskaliert. Doch trotz Kriegsrhetorik auf beiden Seiten sei zu hoffen, dass sich die Lage auch diesmal rasch wieder beruhige, sagt SRF-Moskau-Korrespondent David Nauer.

SRF News: Was ist der Auslöser für die jüngsten Kämpfe um Berg-Karabach?

David Nauer: Armenien und Aserbaidschan schieben sich gegenseitig die Schuld zu und machen den jeweils anderen für die ersten Angriffe verantwortlich, gegen die man sich bloss verteidigt habe. Was genau passiert ist, ist schwer zu sagen.

Wie ernst ist diese neuste Episode um Berg-Karabach zu sehen?

Es ist eine ungewöhnlich schwere Eskalation. Beide Seiten führen nicht nur eine scharfe Rhetorik, sie haben auch Videos veröffentlicht, in denen man die Zerstörung von gegnerischen Panzerfahrzeugen sieht. Armenien meldet zudem, dass die Hauptstadt von Berg-Karabach beschossen worden sei, dass also auch zivile Ziele angegriffen worden seien. Armenien hat ausserdem eine Mobilmachung ausgelöst. Aserbaidschan hat das Kriegsrecht ausgerufen. Die Lage ist tatsächlich ernst.

Dutzende Tote bei neuen Kämpfen

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Legende: Keystone

Bei neuen Gefechten in der Unruheregion Berg-Karabach sind mehrere Dutzend Menschen getötet worden.

Die Zahl der Toten auf armenischer Seite sei auf 58 gestiegen, so das Verteidigungsministerium in Eriwan. Demnach starben am zweiten Tag der Gefechte 42 Armenier. Das armenische Militär sprach zudem von Dutzenden Toten auf aserbaidschanischer Seite. Eine Bestätigung aus Baku gab es zunächst nicht.

Der seit Jahrzehnten dauernde Konflikt zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken war am Sonntag wieder aufgeflammt. Beide Seiten berichteten von Beschuss und schwerem Artilleriefeuer. Es handelt sich um die schwerste Eskalation seit Jahren. In beiden Ländern gilt nun das Kriegsrecht. Russland bot seine Vermittlung an. Unter den Opfern sind auch Zivilisten. (dpa)

Welche Interessen verfolgen Armenien und Aserbaidschan in dem Konflikt?

Der Konflikt geht auf die Zeit des Zerfalls der Sowjetunion vor 30 Jahren zurück, zu der auch Armenien und Aserbaidschan gehört hatten: Damals brach ein Krieg zwischen den christlichen Armeniern und den muslimischen Aserbaidschanern aus, der Zehntausende Tote und Hunderttausende Vertriebene forderte.

Es waren wohl auch diesmal eher die Aserbaidschaner, welche die Lage haben eskalieren lassen.

Die Armenier gewannen den Krieg und besetzten die Region Berg-Karabach, die völkerrechtlich eigentlich zu Aserbaidschan gehört, aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt wird. Aus Berg-Karabach machten die Armenier einen international nicht anerkannten, quasi unabhängigen Staat. Doch Aserbaidschan will dieses Gebiet zurück. Dies lässt darauf schliessen, dass es wohl auch diesmal eher die Aserbaidschaner waren, welche die Lage haben eskalieren lassen.

Männer und Fahnen.
Legende: Armenier melden sich freiwillig, um gegen Aserbaidschan in den Krieg zu ziehen und Berg-Karabach zu verteidigen. Keystone

Wieso gelingt es nicht, diesen Konflikt beizulegen?

Beide Seiten zeigen sich äusserst kompromisslos. An der verhärteten Situation sind die politischen Eliten beider Länder massgeblich schuld. Beide Regierungen beziehen einen grossen Teil ihrer Legitimität aus diesem Konflikt und benützen ihn für ihre eigenen Ziele. Hinzu kommt, dass die Regionalmächte Russland und die Türkei – aber auch der Westen – zu wenig getan haben, um den Konflikt zu lösen.

Russland gibt sich eher zurückhaltend, während die Türkei Aserbaidschan Hilfe verspricht.

Schweiz äussert sich besorgt

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Die Schweiz zeigt sich besorgt über die Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan. Das Aussendepartement EDA rief alle Parteien dazu auf, die Stabilität der Region zu wahren, der Gewalt ein Ende zu setzen, ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten und insbesondere die Zivilbevölkerung zu schützen. Es müssten unverzüglich und ohne Vorbedingungen substanzielle Verhandlungen wieder aufgenommen werden. Die Schweiz sei bereit, sich für Treffen auf höchster Ebene zur Verfügung zu stellen.

Russland hat Interessen in der Kaukasus-Region. Welche Rolle spielt es im aktuellen Konflikt?

Moskau unterstützt einerseits das christliche Armenien, mit dem es über eine militärische Allianz verbunden ist. Gleichzeitig hat Russland immer wieder Waffen an Aserbaidschan geliefert, mutmasslich um den Verbündeten Armenien unter Druck zu setzen. Man hat den Eindruck, dass die Russen die beiden Länder immer wieder mal gegeneinander ausspielen. Derzeit gibt sich Moskau eher zurückhaltend und stellt sich nicht demonstrativ auf die Seite Armeniens. Im Gegensatz dazu nimmt die Türkei – sie ist mit den muslimischen Aserbaidschanern verbündet – klar Stellung und sagt ihnen Hilfe zu.

Wie gross ist die Gefahr, dass der Konflikt um Berg-Karabach jetzt völlig eskaliert?

Die Gefahr ist so gross, wie schon lange nicht mehr – die Lage ist sehr angespannt, unübersichtlich und schwierig. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass der Konflikt immer wieder heisse Phasen zeigt, die meist aber innert weniger Tage wieder abflauen. Man kann nur hoffen, dass es auch jetzt so ist.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

SRF 4 News aktuell vom 28.9.2020, 06.45 Uhr ; 

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