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Krieg in der Ukraine «Dann habe ich den Russen erschossen» – Alltag an der Front

Russische Offensive an der Ostfront: Ukrainische Soldaten haben unserem Reporter erzählt, wie brutal die Kämpfe sind.

Einer der Jungs zeigt uns ein Video auf seinem Handy: Man sieht ukrainische Infanteristen an der Ostfront. Sie gehen vorbei an getöteten Kameraden, die Körper verstümmelt; blutiges, faulendes Fleisch.

Auf einem anderen Video: Eine Gruppe Ukrainer, die sich in einem zerschossenen Haus verschanzt und versucht, einen russischen Angriff abzuwehren. «Taktaktak», rattert ein Maschinengewehr.

Drei Soldaten erzählen einem Reporter von Erlebnissen im Krieg.
Legende: Drei Ukrainer, die an der Kriegsfront kämpfen, erzählen SRF-Korrespondent David Nauer von ihrem Kriegsalltag. SRF

Aufgenommen haben die Videos Soldaten der 42. Brigade der ukrainischen Armee. Wir treffen die Kämpfer der Truppe etwas im Hinterland. Vor dem Krieg waren sie Bauarbeiter, einer war Schuldirektor, ein anderer hat Essen ausgeliefert. Jetzt kämpfen sie an vorderster Front.

In einem Bauernhaus erholen sich die Männer jeweils für ein paar Tage – bevor sie wieder an die Front fahren. Das Haus liegt in relativer Sicherheit und bietet relativen Komfort: Es gibt eine Küche, ein WC, jeder hat ein Bett. Und es gibt selten Beschuss.

Mario hat von getötetem Russen geträumt

Im unmittelbaren Kampfeinsatz ist das anders. Auf einem Sitzplatz unter Tarnnetzen erzählen die Soldaten, wie sie an vorderster Front versuchen, die Stellung zu halten. Oft verschanzen sie sich dort in halb zerstörten Gebäuden oder verkriechen sich in Kellern. Und immer wieder gibt es direkten Feindkontakt.

Ich habe einen Russen getötet. Danach habe ich drei Tage nicht gegessen, schlecht geschlafen und von ihm geträumt.
Autor: Mario Ukrainischer Soldat

Ein bärtiger Soldat mit dem Kampfnamen «Läufer» erzählt: «Einmal ist ein russischer Maschinengewehrschütze an den Fenstern unseres Unterschlupfs vorbeigeschlichen. Doch sein Funkgerät hat ihn verraten – ich hab ihn gehört. Und dann habe ich den Russen erschossen.»

Die Männer sagen, die Russen würden vor allem in der Nacht vorrücken – in kleinen Stosstrupps, um die ukrainischen Linien zu durchbrechen. Soldat Mario schildert einen dieser russischen Angriffe. «Ein Russe wollte in meine Position eindringen. Ich habe ihn getötet. Danach habe ich drei Tage lang nichts gegessen, schlecht geschlafen. Ich habe von ihm geträumt.»

Ukraine braucht an Ostfront jeden Mann

Mario ist im Kampf verletzt worden. Er hört nichts auf einem Ohr, hat Splitter im Bein. Doch die Armee entlässt ihn nicht. Die Ukraine braucht an der Ostfront jeden Mann. Die Russen rücken in der Region seit einigen Wochen wieder vor.

Die Hoffnung der Ukrainer: Dass sie mit kleinen, aber gefährlichen Drohnen den russischen Vormarsch aufhalten können. Die unbemannten Fluggeräte haben den Krieg total verändert. Sie kreisen ständig über dem Schlachtfeld – und schlagen zu, sobald sie irgendwo ein Ziel finden.

Ein Mann bereitet eine Drohne für den Einsatz vor.
Legende: Ein Ukrainer bereitet im Zufluchtsort der Drohnentruppe eine Drohne auf den Einsatz vor. SRF

Wir besuchen eine Drohnentruppe in ihrem etwas von der Front entfernten Versteck. Die Männer bereiten sich hier auf Einsätze vor. Sie sind jeweils einige Tage im Unterschlupf und dann einige Tage in den vorgelagerten Stellungen.

Drohnenpilot Serhii erzählt, wie seine Einsätze ablaufen: «Meine Hauptaufgabe ist es, den Feind zu vernichten. Ich erhalte per Funk ein Ziel übermittelt, mach meine Drohne bereit – und fliege los.»

Ich zähle nicht mit, wie viele Russen ich schon getötet habe, aber es sind viele.
Autor: Serhii Ukrainischer Drohnenpilot

Die meisten russischen Sturmsoldaten kommen gar nicht erst zu den ukrainischen Stellungen, weil sie vorher schon von Drohnen getroffen werden. Wie viele Russen Serhii getötet hat? Er sagt: «Ich zähle sie nicht, aber es sind viele.»

Ein junger Mann spricht in die Kamera.
Legende: Serhii weiss nicht, wie viele russische Soldaten er im Krieg schon getötet hat. SRF

Allerdings: Auch die Russen setzten Drohnen ein. Serhii zeigt ein Video, wie eine russische Drohne ein Militärfahrzeug angreift, in dem er sass. Nur knapp kam er mit dem Leben davon. Es ist eine Mischung aus einem hochtechnologischen und einem archaischen Krieg, in dem Männer gegen Männer kämpfen – bis auf den Tod.

10vor10, 1.7.2025, 21:50 Uhr;brus

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