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Krieg in der Ukraine Ein Jahr ohne Nordstream 1: Wo steht Europa beim Gas?

Russland wollte mit dem Aus der Pipeline Druck ausüben. In Europa hat man sich stattdessen nach Alternativen umgeschaut.

Der Lieferstopp für russisches Gas: Ein Jahr ist es her, da drehte Russland Europa den Gashahn zu. Zunächst führte der Kreml eine nach Wartungsarbeiten in Kanada fehlende Gasturbine als Grund dafür an, die Lieferungen durch die Nordstream-1-Pipeline zurückzufahren. Kurz danach wurde die Gaslieferungen wegen Wartungsarbeiten ganz eingestellt und – wegen eines mutmasslichen Öllecks in einer Kompressorstation – nicht wieder aufgenommen. Am 31. August 2022 floss zum bislang letzten Mal Erdgas durch die Ostseeleitung.

Mann in oranger Leuchtweste läuft vor Pumpsation durch
Legende: Das Anladestation der Nordstream-1-Pipeline im deutschen Lubmin. (30.08.22) REUTERS/Lisi Niesner

Die Sorgen vor einer Mangellage: In den europäischen Hauptstädten fürchtete man daraufhin einen kalten Winter. Gemäss der internationalen Energieagentur heizte im Jahr 2021 rund ein Drittel aller Haushalte die eigenen vier Wände mit Gas. 40 Prozent davon kam aus Russland. Von den vier Pipelines, die damals russisches Gas nach Europa brachten, sind seit der Abschaltung von Nordstream 1 nur noch zwei offen. Schon im Mai 2022 hatte Moskau den Transport durch die Pipeline Jamal-Europa komplett eingestellt.

Der Anstieg und Fall des Gaspreises: So schlimm wie manche fürchteten, kam es über die folgenden 12 Monate aber nicht. «Heute sieht die Lage um einiges besser aus», erklärt Cornelia Meyer, Unternehmensberaterin und Energieexpertin. Die beruhigte Lage lässt sich auch anhand des Gaspreises beobachten. Nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine schnellte dieser in die Höhe. Doch seither ging es wieder nach unten. Seit Wochen bewegt er sich in einem Band zwischen 30 und 40 Euro pro Megawattstunde. Die rasche Anpassung an die neuen Bedingungen im weltweiten Gasmarkt hatte auch mit einer besonders attraktiven Alternative zu herkömmlichem Erdgas zu tun.

Die Rettung kam mit dem Flüssiggas: «In Europa hat eine massive Umpolung weg von russischem Gas stattgefunden», so Cornelia Meyer. Der Kontinent setzt mehr und mehr auf sogenanntes Flüssiggas (engl. «Liquiefied Natural Gas» oder LNG). Im Gegensatz zu herkömmlich verarbeitetem Gas wird dieses verflüssigt per Schiff über weite Distanzen transportiert.

Europa bezieht es aus Staaten wie Norwegen, Katar oder Australien – vor allem aber aus den USA. An über 30 Terminals, die über den Kontinent verteilt sind, werden die Gaslieferungen verarbeitet. Ausgerechnet im wichtigsten und grössten Staat, Deutschland, stehen bislang aber nur drei; drei weitere sind geplant.

Neue Herausforderungen: «Die EU-Staaten haben die Importe aus Russland drastisch reduziert. Trotzdem sind die europäischen Gasspeicher jetzt im Spätsommer gut gefüllt – eine bemerkenswerte Leistung», so EU-Korrespondent Andreas Reich über die Entwicklung bei der Gasversorgung im letzten Jahr. Doch die Neuorientierung der europäischen Gasversorgung hat gemäss Cornelia Meyer auch ihren Preis. «In Zukunft wird Europa noch stärker abhängig sein von Ereignissen in der Ferne – Wirbelstürme in den USA etwa». LNG sei zudem deutlich teurer als herkömmliches Erdgas – sein Import habe daher Folgen für den Industriestandort Europa. «Wir waren schon immer hoch bei den Löhnen; nun kommen noch hohe Energiepreise hinzu.»

Und die Schweiz? Vor Ausbruch des Krieges stammte 47 Prozent des importierten Erdgases aus Russland. Gemäss dem Verband der Schweizer Gasindustrie stammen heute noch weniger als zehn Prozent des hier konsumierten Erdgases aus Russland.

SRF4 news aktuell, 22.08.23, 00 Uhr ; 

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