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Krieg in der Ukraine Journalistin vor Ort: «Auch Weissrussen kämpfen für die Ukraine»

Am Schwarzen Meer, wo die Frontlinie des Krieges verläuft, werden derzeit heftige Kämpfe gemeldet. Dennoch sei der Widerstand auf ukrainischer Seite gross – und die Motivation der Armee, ihr Land zu verteidigen, ungebrochen, wie die freie Journalistin Stefanie Glinski, derzeit in Odessa, berichtet.

Stefanie Glinski

Freie Journalistin im Nahen Osten

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Die freie Journalistin Stefanie Glinski berichtet unter anderem für den britischen «Guardian», «Foreign Policy» und die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Sie konnte nach der Flutkatastrophe nach Derna in Libyen reisen.


SRF News: Sie waren gestern in der südukrainischen Stadt Mykolajiw am Schwarzen Meer. Wie ist die Lage vor Ort?

Stefanie Glinski: Mykolajiw wird gerade sehr heftig bekämpft. Man hört den ganzen Tag Einschläge von russischen Raketen und natürlich auch Raketen, die in Richtung der Russen fliegen. Die Menschen haben die Fenster ihrer Häuser mit Klebeband zugeklebt oder mit Holz geschützt, damit diese bei einem Raketeneinschlag nicht die Menschen im Haus verletzen.

Wenn die Russen es schaffen, Mykolajiw einzunehmen, dann bleibt eigentlich nur noch Odessa übrig.

Mykolajiw ist von grosser strategischer Bedeutung: Wenn die Russen es schaffen, die Stadt einzunehmen, dann bleibt eigentlich nur noch Odessa übrig, und die Russen hätten dann praktisch die komplette Küste unter Kontrolle.

Was schätzen Sie, wie viele Menschen sind tatsächlich noch vor Ort?

Ganz viele fliehen in Richtung Odessa und dann in Richtung Westen des Landes. Viele Menschen sind auch im Spital. Ein Arzt, der Russe ist, aber in der Ukraine aufgewachsen ist, erzählte mir, dass sie in den letzten Tagen Hunderte von Patienten hatten, die sich Splitter oder andere Verletzungen durch Raketen zugezogen hatten.

Zum Teil konnten ja Korridore für Evakuierungen geschaffen werden. Wissen Sie etwas über Mariupol?

Die Situation in Mariupol ist weiterhin sehr angespannt. Man hat ja mehrmals versucht, diese humanitären Korridore zu öffnen, und das ist mehrfach schiefgegangen. Alle versuchen, die Stadt zu verlassen.

Im Westen hört man immer wieder, der Widerstand sei gut organisiert. Können Sie das bestätigen?

Ja, die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen um alles. Sie haben nichts zu verlieren, sie wollen ihr Land verteidigen, wollen eine freie Ukraine. In den letzten zwei Tagen habe ich mich auch mit weissrussischen Soldaten unterhalten, die ebenfalls hier für die Ukraine kämpfen. Sie haben mir erzählt, sie hätten keine andere Wahl, weil sie Lukaschenko unterdrückt habe.

Ich habe mich auch mit weissrussischen Soldaten unterhalten, die ebenfalls hier für die Ukraine kämpfen.

Und sie sagten mir, dass sie genau diese Führung von einem Staat in der Ukraine nicht sehen wollen und dass sie sich deswegen entschieden haben, mit den Ukrainern gegen die Russen zu kämpfen.

Werten Sie dies als gutes Zeichen?

Man hat das auch schon 2014 gesehen, auf der Krim und im Donbass. Da waren sehr viele weissrussische Soldaten, die ebenfalls gekämpft haben, hauptsächlich damals auf der Seite der russischen Separatisten, weniger auf der Seite der Ukrainer.

Auch sonst wird die Ukraine sehr stark unterstützt von Menschen, die von überall herkommen.

Mehrere westliche Länder schicken Waffenlieferungen in die Ukraine. Wissen Sie, ob diese ankommen?

Ich habe viele Transporte gesehen, die vom Westen der Ukraine ins Landesinnere reinkamen und von dort nach Kiew und in andere Gebiete geliefert wurden. Unter anderem waren das zum Beispiel Teile von Flugzeugen oder Militärlastwagen. Was da drin ist, weiss man natürlich nicht.

Wissen Sie, wie die Lage derzeit in Kiew ist?

Über Browary, einem Vorort von Kiew, habe ich gehört, dass die Kämpfe in den letzten Tagen sehr, sehr heftig waren. Kiew rechnet damit, dass in der nächsten Zeit etwas passieren könnte. Auf der anderen Seite wartet die Hauptstadt schon seit Wochen auf diesen Angriff, der noch nicht gekommen ist. Auf jeden Fall ist die Situation weiterhin sehr angespannt.

Das Gespräch führte Karin Britsch.                

SRF 4 News, 12.03.2022, 08:00 Uhr ; 

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