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Krieg in der Ukraine Kriegsflüchtlinge in Ungarn: willkommen, aber doch nicht so ganz

Ungarn ist bekannt als Land, das keine Geflohenen reinlässt. Jetzt, da im Nachbarland Krieg herrscht, dürfen Flüchtlinge zwar kommen. Nur haben sie es ziemlich schwer.

Es ist eine grosse Halle in Budapest, überall Absperrgitter, organisiert wie eine Landwirtschaftsmesse – das Empfangszentrum der ungarischen Regierung für Flüchtlinge aus der Ukraine. Dort die Kinderecke, da der Stand der Kirche, hier die Arbeitsvermittlung. Eine junge Frau ist dran.

Gerade noch war sie im Osten der Ukraine, ihr Haus ist geborsten unter Bomben. «Ich möchte eine Weile Geld verdienen und dann nach Hause», sagt sie. Nach Ungarn ist sie gekommen, weil Freunde schon hier sind.

Arbeitskräfte gesucht

Die ungarische Regierung verhält sich anders als 2015, als viele Menschen aus dem Süden kamen, als Ungarn die Grenzen schloss. Ukrainerinnen und Ukrainer dürfen ins Land kommen. Eine halbe Million sei schon gekommen, heisst es. Der Staat gibt Arbeitgebern Geld, die Ukrainerinnen, Ukrainer anstellen. In Ungarn sind viele Stellen ausgeschrieben, man wäre froh um mehr Arbeitskräfte.

Zwei Frauen an einem Pult reden mit einem Mann und einer Frau
Legende: Arbeitsvermittlung in Ungarn für ukrainische Flüchtlinge: Bisher konnten noch nicht viele Stellen besetzt werden. SRF/Martin Fejer

Am Stand der Arbeitsvermittlung sagt der Mann, die Flüchtlinge interessierten sich für jede Art von Arbeit. «An einem Tag sind es zehn, am nächsten 50, die Arbeit suchen.» Fragt man aber, wie viele tatsächlich Jobs bekommen, wird es schwierig. Das laufe alles erst an, sagt er.

Eine kleine Umfrage von SRF unter grossen ungarischen Arbeitgebern zeigt: Eigentlich bieten nur Detailhändler – Aldi, Tesco – ein paar Arbeitsplätze explizit für Flüchtlinge an. Das ist nicht die Schuld der Regierung. Es liegt an der Sprachbarriere, daran, dass vor allem Frauen und Kinder kommen. Und daran, dass nur wenige länger bleiben wollen.

Freiwillige müssen helfen

Das wiederum hat durchaus auch mit der Politik Ungarns zu tun. Es ist schwierig, sich hier zurechtzufinden – zum Beispiel für die junge Frau aus dem Osten der Ukraine. «Wir müssen uns registrieren», sagt sie.

Allerdings sei ihr nicht klar, wo. Bis jetzt gab es für die Anmeldung in Budapest nur einen einzigen Ort, und er ist weit weg vom Empfangszentrum. Das Verfahren ist kompliziert, viele Menschen fühlen sich verloren, der Bürokratie ausgeliefert – vor allem die, die nicht wissen, ob sie länger in Ungarn bleiben werden, melden sich nicht an.

Ohne Anmeldung aber gibt es nach 24 Stunden Aufenthalt keine staatliche Hilfe mehr. Dann helfen Menschen wie Csaba Kriston. «Die Politik der Regierung macht uns ernsthafte Probleme», sagt er am Handy. Nur dort erreicht man ihn, er ist die ganze Zeit unterwegs.

Zwei Frauen an Tisch, Mann mit Laptop.
Legende: Diese zwei jungen Ukrainerinnen wollen in Ungarn arbeiten. Das Anmeldeprozedere ist aber kompliziert. Die zuständige Stelle liegt weit weg vom Empfangszentrum. SRF/Martin Fejer

Kriston ist Freiwilliger beim zweischwänzigen Hund, einer kleinen politischen Partei, die zur Hilfsorganisation geworden ist. Tausende Menschen – alle, die sich noch nicht anmelden konnten oder wollten – lasse der Staat im Stich. «Wir versuchen, ihnen allen zu helfen.» Kriston und hunderte andere Freiwillige besorgen Essen und Unterkunft.

Pro-russische Staatsmedien

Offenbar hat die Regierung nun ein Einsehen: Sie kündigt an, dass es bald mehr als einen Ort geben soll, an dem Flüchtlinge sich anmelden können. Das Verfahren bleibt aber kompliziert, mehrstufig. Und wer danach tatsächlich Asyl will, muss lange warten: 14'000 Flüchtlinge aus der Ukraine haben bisher darum gebeten, erst 700 Asylgesuche sind behandelt worden. Denn Ungarn hat sein Asylwesen praktisch abgeschafft: Man wollte ja eigentlich keine Flüchtlinge.

Also gibt es auch kein Personal mehr dafür. Ungarns Staatsmedien vermieden lange das Wort «Krieg» beim Thema Ukraine. Sie unterstellen, Russland habe gute Gründe für den Einmarsch. Ungarns Regierung weiss, dass ein Teil der Wähler und Wählerinnen Russland wohlgesinnt ist. Auch darum fühlen sich viele Flüchtlinge nicht willkommen in Ungarn.

Echo der Zeit, 11.05.2022, 18:00 Uhr

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