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Krieg in der Ukraine «Leider leben noch zu viele Menschen in Kramatorsk»

Die Frontstadt Kramatorsk im Osten der Ukraine ist eine Basis des Rückzugs für die ukrainische Armee. Der Krieg ist präsent, Soldaten sind in der Grossstadt, zahlreiche Gebäude beschädigt. Oleksandr Hontscharenko managt als Bürgermeister die letzte Grossstadt im Donbass, die unter ukrainischer Kontrolle steht. Der Politiker erzählt, dass über die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner von Kramatorsk geflohen ist. Ihm wäre es aber lieber, noch viel mehr Menschen würden die Stadt verlassen.

Oleksandr Hontscharenko

Bürgermeister von Kramatorsk

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Hontscharenko hat als junger Mann in der Schweiz Betriebswirtschaftslehre studiert. Heute ist der Geschäftsmann Bürgermeister der ukrainischen Grossstadt Kramatorsk.

SRF News: Wie würden Sie die Situation in der Stadt beschreiben? Wie viel ziviles Leben gibt es? Wie stark prägt der Krieg den Alltag?

Oleksandr Hontscharenko: Was die Bevölkerungsanzahl angeht: Leider sind es noch zu viele. Es sind nach wie vor 80’000 Leute. Ich sage leider, weil wir ganz knapp von der Frontlinie entfernt sind. Für sie ist die Lebensgefahr hoch, von Raketen oder Bombenanschlägen getroffen zu werden. Je weniger Leute wir hier haben, umso weniger Opfer würde es geben.

Oleksandr Hontscharenko steht neben einer ukrainischen Flagge und schaut direkt in die Kamera.
Legende: «Eines Tages nach unserem Sieg werden die meisten Leute sicher zurückkehren», davon ist Hontscharenko fest überzeugt. David Nauer/SRF

Kramatorsk wird regelmässig von den Russen mit Raketen beschossen. Welche Ziele werden angegriffen?

Mehrmals wurden zivile Objekte beschossen. Zwei Schulen sind total zerstört. Dabei waren keine Soldaten, kein Militär in den Gebäuden. Einige Infrastrukturobjekte wurden zwar nicht zerstört, aber beschädigt. Wir sind noch leicht davongekommen, verglichen mit anderen Städten, denen es viel, viel schlechter geht.

Eine zerstörte Schule in Kramatorsk von aussen.
Legende: Russische Raketenangriffe richteten in Kramtorsk grosse Schäden an, zwei Schulen wurden zerstört. Reuters/Alina Yarysh

Trotzdem spürt man den Krieg in Kramatorsk.

Man spürt den Krieg in der ganzen Ukraine. Doch viele Leute sind nicht mehr so nervös wie vor einem Jahr. Viele haben sich den Umständen angepasst. Sie haben sich mehr oder weniger, wie böse es auch klingen mag, ein bisschen daran gewöhnt.

Das ist wie ein Alptraum, der nicht aufhört.

Ich hoffe, dass der Krieg eines Tages zu Ende ist. Und wir rechnen, optimistisch gedacht, dass dieser Krieg mithilfe unserer Partner weltweit noch in diesem Jahr mit unserem Sieg endet. Auf jeden Fall werden wir uns nie damit abfinden, dass die Russen unsere Grundstücke, unsere Städte, unsere Dörfer erobert haben.

Viele Menschen in der Region hatten früher ganz gute Beziehungen zu Russland.

Ich hatte selbst viele Beziehungen, 2500 bis 3000 Kontakte. Ich war vielfach im Geschäft tätig, wo viele Lieferungen nach Russland stattgefunden haben. Ich habe mich entschieden, all diese Kontakte aufzulösen. Denn meine persönliche Meinung ist, dass nicht nur allein Putin an dem ganzen Krieg schuld ist, sondern dass jeder Einzelne mitverantwortlich ist.

Meine Meinung ist, dass nicht nur Putin am Krieg schuld ist, sondern dass jeder Einzelne mitverantwortlich ist.

Was muss geschehen, damit die Ukraine die Russen stoppen kann?

Ohne unseren Sieg wird es keine Friedensverhandlungen geben. Aber dazu braucht es auf jeden Fall schwerere Waffen, Langstreckenkanonen mit einer längeren Schussweite. Denn mit Kalaschnikows allein sind die Russen nicht aufzuhalten.

Nun soll die Ukraine Panzer bekommen. Ist das nicht genug?

Laut unserem Militär sollten Stand heute 300 bis 400 Panzer für die Verteidigung reichen. Wie viele wir bräuchten, um zur Offensive zu kommen, kann ich leider nicht beurteilen.

Sehen Sie keine Chance, dass Moskau plötzlich einsieht, dass sie aufhören sollten, weiter anzugreifen?

Ohne dass wir sie mithilfe von schweren europäischen Waffen aufhalten, werden die nie auf die Idee kommen, mit dem Krieg aufzuhören.

Das Gespräch führte David Nauer.

Echo der Zeit, 06.02.2023, 18 Uhr ; 

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