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Krieg in der Ukraine «Man muss für Kiew das Schlimmste befürchten»

Es ist Tag sechs des russischen Angriffs auf die Ukraine – und die Kämpfe verstärken sich. So zeigen neu aufgenommene Satellitenbilder einen russischen Militärkonvoi nördlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Er erstrecke sich auf über 64 Kilometer, teilte das US-Satellitenunternehmen Maxar mit. Mauro Mantovani, Sicherheitsexperte an der ETH Zürich, erwartet einen massiven russischen Angriff auf die Hauptstadt Kiew.

Mauro Mantovani

Sicherheitsexperte MILAK/ETH

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Der promovierte Historiker ist seit 2009 Dozent für Strategische Studien an der Militärakademie an der ETH. Er ist durch eine Reihe von Publikationen zur schweizerischen Sicherheitspolitik hervorgetreten. Zuvor arbeitete er unter anderem im Auslandnachrichtendienst (SND).

SRF News: Inzwischen sollen erste Fahrzeuge des Konvois die Hauptstadt Kiew erreicht haben. Was wissen Sie über diesen Konvoi?

Mauro Mantovani: Die Russen führen nun grosse Mengen von schweren Waffen heran: Gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie und möglicherweise auch Raketenartillerie. Es handelt sich um die zweite Angriffswelle der Russen im Norden, nachdem es über das Wochenende eine operationelle Pause gegeben hatte und die leichten Truppen in Kiew am Montag nur wenig Geländegewinne erzielt hatten. Nach meiner Interpretation ist es Putins Versuch, eine rasche Entscheidung in Kiew herbeizuführen.

Am Montag wurde im Stadtzentrum von Charkiw mit schwerer Artillerie geschossen. Das war eine qualitative Eskalation und ein schlimmes Omen für Kiew.
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Seit dem Beginn der russischen Offensive leisten die Ukrainer vehement Widerstand. Der Ukraine ist es laut westlichen Militärs gelungen, den russischen Angriffskrieg zumindest zu verlangsamen. Was bedeutet ein solch gewaltig langer russischer Konvoi für Kiew und den Krieg?

Er lässt für Kiew das Schlimmste befürchten. Am Montag wurde im Stadtzentrum von Charkiw mit schwerer Artillerie geschossen, natürlich gab es dabei viele zivile Opfer.

Das war eine qualitative Eskalation und ein schlimmes Omen für Kiew. Ich erwarte, dass sich die russische Armee in den nächsten Stunden und Tagen einen direkten Weg zum Stadtzentrum freikämpfen und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen wird.

Bisher konnte die russische Armee Kiew nicht erobern. Laut verschiedenen Nachrichtenagenturen soll Kiew mit dem Konvoi eingekesselt werden. Wie schwierig ist es, diese Millionenstadt zu umzingeln und für lange Zeit zu belagern?

Ein Einschliessen der Grossstadt Kiew, die ja drei Millionen Einwohner zählt, ist nicht unmöglich. Die Russen hätten durchaus die Mittel dazu. Aber das würde viel Zeit rauben – Zeit, die Putin nach meiner Einschätzung nicht hat.

Satellitenbilder des US-Unternehmens Maxar zeigen den riesigen russischen Konvoi, der sich der Hauptstadt Kiew nähert.
Legende: Satellitenbilder des US-Unternehmens Maxar zeigen den riesigen russischen Konvoi, der sich der Hauptstadt Kiew nähert (28. Februar). Keystone

Nach eigenen Angaben will das russische Militär einen «sicheren Korridor» für die zivile Bevölkerung anbieten, damit die Menschen die Stadt sicher verlassen können. Was heisst das konkret?

Dazu ist Russland gemäss humanitärem Völkerrecht verpflichtet. Die Russen haben ja auch immer betont, sie würden die Zivilbevölkerung nicht unter Beschuss nehmen. Bestimmt ist sich auch die ukrainische Regierung in dieser hochdramatischen Lage bewusst, dass es einen solchen humanitären Korridor braucht, um Zivilisten aus Kiew zu evakuieren.

Das Gespräch führte Vera Deragisch.

SRF 4 News, 01.03.2022, 09:40 Uhr ; 

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