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Krieg in der Ukraine Selenski – der gejagte Held

Aus einem Schauspieler ist 2019 ein ukrainischer Staatspräsident geworden. Gerade unter den massiven Druckversuchen Putins zeigt sich nun: Wolodimir Selenski (44) ist gekommen, um zu bleiben.

Als Neonazi, gar als Drogenabhängigen beschimpft ihn Russlands Präsident Wladimir Putin. Der Kreml hat Wolodimir Selenski zur Zielscheibe Nummer 1 erklärt. Putin will ihn und den Rest der ukrainischen Führungsriege aus dem Amt fegen. An ihrer Stelle soll fortan eine Marionettenregierung unter Russlands Gnaden walten.

Ich bin hier. Wir werden nicht aufgeben.
Autor: Wolodimir Selenski Präsident der Ukraine

Doch einknicken? Das kommt für den ukrainischen Präsidenten nicht infrage. Die Verunglimpfungen Putins lässt Wolodimir Selenski an sich abprallen; ein Angebot der USA, ihn ausser Landes in Sicherheit zu bringen, soll er abgelehnt haben. Stattdessen meldet er sich seit Beginn des russischen Angriffs teils mehrfach stündlich auf Twitter zu Wort, gibt Videostatements ab.

Selenskis Botschaft ist immer dieselbe. Er bleibt. Kämpft gegen Russland. Und gegen Falschinformationen. «Es wird behauptet, dass ich unsere Armee aufgefordert hätte, den Widerstand aufzugeben», sagt Selenski. Aber: «Ich bin hier. Wir werden nicht aufgeben. Wir werden unser Land verteidigen.»

Jurist mit Schauspieltalent

Wolodimir Selenski, Sohn einer Ingenieurin und eines Kybernetik-Professors, kommt 1978 in Krivi Rih zur Welt. Einer Grossstadt, 400 Kilometer von Kiew entfernt. Seine Familie ist jüdischen Glaubens, russisch seine Muttersprache. Kindheit in einer heruntergekommenen Wohnüberbauung , Gymnasium, Jus-Studium. Statt sich über Paragrafen zu beugen, gründet er eine Fernsehproduktionsfirma mit.

Bekannt wird der Entertainer vor allem dank seiner Rolle in der TV-Serie «Diener des Volkes». Darin spielt er ab 2015 einen Lehrer, der überraschend Staatspräsident wird. Ein Drehbuch, das bei der Präsidentschaftswahl 2019 für eine Art Déjà-vu sorgen wird.

Politneuling kommt an die Macht

Doch der Reihe nach: Schon im Vorfeld erhält das politisch unbeschriebene Blatt in Umfragen hohe Zustimmungswerte. An Silvester 2018 erklärt der Ukrainer seine Kandidatur. Drei Monate später, am 31. März 2019, erzielt Selenski – damals 41, verheiratet, zweifacher Familienvater – im ersten Wahlgang den höchsten Stimmenanteil – weit vor dem damaligen Präsidenten, Petro Poroschenko, und der früheren Premierministerin und Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko.

Am 20. Mai 2019 legt der neu gewählte Präsident Wolodimir Selenski bei der Amtseinführung seinen Eid ab.
Legende: Im April 2019 wird Wolodimir Selenski zum Präsidenten der Ukraine gewählt, am 20. Mai 2019 legt er seinen Eid ab. Reuters

In der Stichwahl vom 21. April 2019 wird der Politneuling schliesslich zum Präsidenten gewählt. Zum jüngsten, den das Land je hatte. 73 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer geben ihm die Stimme. Selenskis Sieg sei «so überraschend wie überwältigend» gewesen, schreibt Russland-Korrespondent David Nauer ein Jahr nach der Wahl .

Bei Amtsantritt wird Selenski von vielen belächelt. Seine Wahl verdanke er primär seiner Popularität aus dem Fernsehen, frotzeln manche. Selenski lässt sich nicht beirren, beruft Neuwahlen ein, will im verjüngten Parlament Reformen an- und Privilegien der Eliten abstossen. Der Krieg im Osten soll enden, auch die Rückeroberung der Krim schwebt ihm vor.

Vom Komiker zur authentischen Führungsfigur

Auch wenn Selenskis Umfragewerte zwischenzeitlich einen Dämpfer erlitten haben: Seiner Entschiedenheit, für die Ukraine einzustehen, tut dies keinen Abbruch. Sein Talent als Schauspieler komme Selenski zugute, sagt SRF-Moskau-Sonderkorrespondent Christof Franzen. Seine Worte würden das Volk beeindrucken. «Er ist sehr authentisch.»

Selenski trage massgeblich zur intakten Moral der Ukrainerinnen und Ukrainer bei, sagte jüngst auch Katrin Eigendorf, ZDF-Korrespondentin. «Selenski hat sich in diesem Krieg als Anti-Putin etabliert», so Eigendorf. «Als Führungsfigur hat er unglaublich viel für sein Land gewonnen.»

Als Führungsfigur hat er unglaublich viel für sein Land gewonnen.
Autor: Katrin Eigendorf ZDF-Korrespondentin

Während sich Putin im Kreml einigelt, schwört Selenski sein Volk auf offener Strasse auf den Widerstand ein. Bestärkt durch internationale Solidarität – und Lieferungen handfester Munition ausländischer Herkunft.

«Ich habe bisher alles unternommen, um die Ukrainer zum Lachen zu bringen. In den nächsten fünf Jahren werde ich alles unternehmen, damit sie nicht weinen müssen», sagte Selenski bei seiner Vereidigung. Ein Versprechen, an dem er nun – mehr denn je – gemessen wird.

SRF 4 News, 28.02.2022, 03:00 Uhr

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