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Krieg in der Ukraine RTS-Journalist in Butscha: «Sinnlos, eine Fälschung zu vermuten»

Es sind grauenhafte Bilder, die nach dem Rückzug der russischen Truppen zurückbleiben. In der Kleinstadt Butscha bei Kiew wurden Hunderte Leichen entdeckt. Die Ukraine spricht von Genozid. Moskau hingegen behauptet, die Ukraine würde absichtlich falsche Informationen verbreiten. Sébastien Faure vom Westschweizer Fernsehen konnte am Sonntag und Montag in Butscha drehen. Was er gesehen hat, ist schrecklich.

Sébastien Faure

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Faure ist RTS-Korrespondent in Kiew.

SRF: Wie frei konnten Sie in der Stadt filmen? Wie präsentierten sich die Arbeitsbedingungen in Butscha?

Sébastien Faure: Theoretisch müssten wir begleitet durch Butscha gehen. Es gab Pressebusse, die für Montag organisiert wurden, aber wir sind seit Sonntag frei unterwegs. Eigentlich gab es eine Ausgangssperre, aber es war trotzdem ziemlich einfach, die Checkpoints zu passieren. Verschiedenste westliche Medien haben dasselbe getan. Wir konnten uns frei bewegen und mit allen sprechen.

Mann steht auf zerstörter Strasse.
Legende: 25 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kiew bietet sich nach dem Rückzug der russischen Armee ein Bild des Grauens. Keystone

Was haben Sie vor Ort gesehen?

Wir haben viele Leichen gesehen. Einige waren noch nicht entdeckt worden. Wir haben fünf Leichen mit verbundenen Händen hinter dem Rücken gefunden. Da waren wir ganz alleine unterwegs. Die Leichen wurden mittlerweile abgeholt. Gemäss den ukrainischen Behörden wurden alle fünf erschossen. Bis zu fünf Schüsse seien abgegeben worden und es habe auch Folterspuren gegeben.

Die Menschen haben Grauenhaftes erlebt. Russland bestreitet die Gräueltaten, spricht von einer Fälschung. Haben Sie vor Ort irgendwelche Indizien gesehen, die Zweifel an der ukrainischen Version aufkommen liessen?

Als Journalist muss man immer einen gewissen Zweifel aufrechterhalten. Man muss immer hinterfragen. Ich bin aber nicht Gerichtsmediziner und auch nicht vom Internationalen Gerichtshof beauftragt. Aber wir haben gut ein Dutzend Leichen gesehen in den letzten Tagen. Und es ist sehr schwierig, sich vorzustellen, dass das alles gefälscht sein soll.

Es ist sehr schwierig, sich vorzustellen, dass das alles gefälscht sein soll.
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Ende letzter Woche verliessen die Russen die Stadt. Bis dahin schossen sie auf die Menschen. Am Samstag tauchten die ersten Bilder der Leichen auf. Das würde heissen, die ukrainischen Behörden hätten die Leichen da ablegen müssen. Sie hätten diese Leute nicht zu dem Zeitpunkt töten können, denn die Leichen waren schon älter. Sie hätten also dieses makabre Geschehen inszenieren müssen. Als wir am Sonntag in Butscha ankamen, begann man schon, die Leichen zu entfernen. Es wäre also nicht sinnvoll gewesen, hier eine Fälschung zu vermuten.

Sie haben auch mit Menschen gesprochen.

Ich habe mit Dutzenden Menschen gesprochen. Ich habe sie selber ausgewählt. Eine Fälschung mit Zeugenaussagen wäre sehr schwierig. Da müsste man ja Tausende Statisten haben, um sicherzustellen, dass die Journalisten dann genau mit diesen Menschen sprechen. Und es ist doch sehr schwer zu glauben, dass es in diesen 36 Tagen Besetzung keine Übergriffe gegeben habe, wie man vonseiten der Russen hört.

Und es ist doch sehr schwer zu glauben, dass es in diesen 36 Tagen Besetzung keine Übergriffe gegeben habe, wie man vonseiten der Russen hört.
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Das Gespräch führte Urs Gredig.

Wie prüft SRF die Quellen in der Kriegsberichterstattung?

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Die Informationen zum Ukraine-Krieg sind zahlreich und zum Teil widersprüchlich. Die verlässlichsten Quellen sind eigene Journalistinnen und Reporter anderer Medien vor Ort, denen man vertrauen kann. Weitere wichtige Quellen sind Augenzeugen – also Menschen vor Ort, die Eindrücke vermitteln können.

Besonders zu hinterfragen sind Informationen von Kriegsparteien. Denn alle Kriegsparteien machen Propaganda – in diesem Angriffskrieg vor allem die russischen, offiziellen Quellen. Die Aussagen der Kriegsparteien ordnen wir entsprechend ein. Grundsätzlich gilt bei SRF: Je schwieriger und unzuverlässiger die Quellenlage, desto wichtiger ist Transparenz. Umstrittene Fakten und Informationen, die nicht unabhängig überprüfbar sind, werden als solche kenntlich gemacht.

10 vor 10, 04.04.2022, 21:50 Uhr ; 

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