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«Agentengesetz» in Russland Der Kreml richtet sich in der Isolation ein

Begonnen hat alles vor über zehn Jahren. Wladimir Putin suchte nach Mitteln und Wegen, um den Protest zum Schweigen zu bringen, der sich auf Moskaus Strassen formiert hatte. Es ging um Wahlfälschungen und Putins Rückkehr an die Spitze des Staates. Und so wurde das Gesetz über «ausländische Agenten» auf den Weg gebracht. Es entfaltete eine verheerende Wirkung.

Ursprünglich zielte es auf Organisationen ab, die Geld aus dem Ausland erhielten. Doch mit den Jahren wurde es ausgeweitet: auf Medien und auf Einzelpersonen. Menschenrechtsorganisationen wie etwa «Memorial» wurden zerschlagen, unabhängige Medien ins Exil getrieben.

Kein Leben als «ausländischer Agent»

Ihnen folgten Privatpersonen, vor allem Medienschaffende und politisch Aktive. Sie emigrierten, weil man in Russland mit dem Etikett «ausländischer Agent» nicht leben kann. Parallel zur wachsenden Repression im Innern bereitete der Kreml sich auf die Aggression gegen aussen vor.

Es ist gewollt, dass viele in Russland den Begriff «ausländischer Agent» mit Spionen, Verrätern, ja Volksfeinden in Verbindung bringen. Der Kreml will damit wie zu Sowjetzeiten suggerieren, dass der Feind aus dem Ausland kommt. Und dass er überall lauern kann. Es soll eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens erzeugt, das Denunziantentum gefördert werden. So kann man die Bevölkerung besser kontrollieren.

Es kann alle treffen

Nun wird das Gesetz weiter verschärft: Alle, die in irgendeiner Form unter ausländischem Einfluss stehen, können zu «ausländischen Agenten» erklärt werden. Was das genau heisst, weiss niemand. Das Gesetz ist bewusst schwammig formuliert. Es kann jeden und jede treffen.

Wie wirksam das «Agentengesetz» und andere Zensurmassnahmen bereits sind, zeigt sich seit dem Krieg gegen die Ukraine. Der öffentliche Raum in Russland wird beherrscht von regierungsfreundlichen Medien. Die Lügen, die sie verbreiten, haben den Boden für diesen Krieg bereitet.

Sterben fürs Vaterland als patriotische Pflicht

Doch das ist dem Kreml nicht genug. Er will sich weitere Instrumente verschaffen, um jede Regung künftiger Unzufriedenheit bereits im Keim zu ersticken. Das lässt nichts Gutes erahnen. Es gibt Gerüchte, dass bald eine zweite Mobilisierungswelle folgen wird, oder sogar eine Generalmobilmachung. Das Land wird auf Kriegswirtschaft umgestellt, den Kindern wird in den Schulen beigebracht, dass Sterben fürs Vaterland eine patriotische Pflicht ist.

Der Kreml bereitet Russland ganz offensichtlich auf einen langen Krieg vor und richtet sich in der Isolation ein. Die Grundlagen dafür schafft er jetzt.

Judith Huber

Osteuropa-Korrespondentin

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Vor ihrer Tätigkeit als Osteuropa-Korrespondentin war Judith Huber als Auslandredaktorin tätig. Sie war zudem jahrelang Produzentin der Sendung «Echo der Zeit» von Schweizer Radio SRF. Judith Huber ist spezialisiert auf die Länder der ehemaligen Sowjetunion und ist Sonderkorrespondentin für die Ukraine.

Rendez-vous, 01.12.2022, 12:30 Uhr

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