Spätestens 2038 sollen die letzten Braunkohle-Kraftwerke still gelegt sein. Das sieht der Kohle-Ausstiegsplan vor, der letzte Woche vom Kabinett in Berlin gutgeheissen wurde. SRF-Korrespondent Peter Voegeli erklärt, warum der «Kohlekompromiss» im politischen Prozess aufgeweicht wurde.
SRF News: Der Gesetzesentwurf liegt vor – trotzdem gibt es massive Kritik. Warum?
Peter Voegeli: Beim Kohlekompromiss, der vor einem Jahr von Wirtschaft, Umweltschützern, Politik, Arbeitnehmern und Wissenschaft geschlossen wurde, wurde an einigen wichtigen Stellschrauben gedreht. Die Wichtigste ist: Der Ausstieg aus der Kohle wird zwar bis 2038 vollzogen – aber die Abschaltung der Kraftwerke wird nach hinten verschoben.
Jahrelang wird also viel mehr CO2 emittiert als geplant. Von zehn Millionen Tonnen ist die Rede. Vor allem Wissenschaftler haben das massiv kritisiert. Das konterkariere das eigentliche Ziel des Klimaschutzes.
Was stört die Kritiker sonst noch?
Es gibt ein pikantes Detail. Das Energieunternehmen Leag in der Lausitz erhält 1.75 Milliarden Euro als Kompensation für die Abschaltung. Das Unternehmen hatte bereits vor dem Kohlekompromiss einen Zeitplan vorgelegt. Dieser entspricht nun genau dem Kohlekompromiss, sprich: Die Leag erhält 1.75 Milliarden Euro für gar nichts. Nämlich dafür, dass sie ihren ursprünglichen Plan einhält.
Die Bundesregierung ist vor allem deshalb vom Kohlekompromiss abgewichen, weil gerade die Kohlegebiete im Osten AfD-Hochburgen sind.
Der zweite Kritikpunkt: Das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 in Nordrhein-Westfalen geht ans Netz. Viele sagen, dass damit ein völlig falsches Zeichen gesetzt wird – obwohl es mit der Abschaltung eines älteren Kraftwerkes kompensiert wird.
Auch die Kraftwerksbetreiber sind unzufrieden mit dem Ergebnis. Was fordern sie?
Sie kritisieren, dass es keine verbindliche Kompensation für den Anstieg des Strompreises gebe. Und sie kritisieren, dass es keine Anreize gebe, von Kohle auf Gas umzustellen.
Warum ist die Regierung überhaupt vom Kohlekompromiss abgewichen?
Die Regierung wollte das Problem eigentlich mit Geld lösen. Insgesamt fliessen jetzt 15 Milliarden Euro. Das reichte aber nicht ganz, um alle Ansprüche zufriedenzustellen – Datteln 4 konnte man nicht abschalten und kompensieren. Das hätte den Rahmen gesprengt. Die Bundesregierung ist vor allem abgewichen, weil gerade die Kohlegebiete im Osten – Sachsen und Brandenburg – AfD-Hochburgen sind.
Man fürchtete, dass die AfD bei einem zu harten Kohlekompromiss massiv erstarken würde. Das wollte man mit allen Mitteln vermeiden. In diesen Bundesländern gab es schon nach der Wiedervereinigung einen massiven Kahlschlag. Gerade in der Industrie. Diese politische Angst hatte zur Folge, dass am Klimaschutz quasi gespart wurde.
Was passiert mit den Beschäftigten in der Kohleindustrie und den betroffenen Regionen, was sieht die Regierung vor?
Vor allem viel Geld. 40 Milliarden Euro sollen bis 2038 fliessen. Man will das Geld in Infrastruktur investieren, was Wirtschaftsbetriebe anzieht. Ein Strukturwandel soll geschehen. Das hat das Nordrhein-Westfalen bereits vorgemacht. Es sollen Wissenschaftszentren entstehen, zum Beispiel bei der Erforschung von Wasserstoffantrieben.
Und wie beim Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau will die Bundesregierung ein Anpassungsgeld für Beschäftigte aus dem Braunkohlebranche einführen: Wer 58 ist und seinen Job verliert, bekommt bis 2043 Übergangsgeld. Insgesamt sollen rund fünf Milliarden Euro an diese Beschäftigten fliessen.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.
SRF 4 News, Echo der Zeit vom 04.02.2020