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Kritik an Kriegsgewinnen Norwegens Finanzminister Stoltenberg zieht die Notbremse

Schon vom Ukraine-Krieg profitierte der grösste Staatsfonds der Welt – und nun auch vom Gaza-Krieg. In der Bevölkerung kommt das schlecht an.

Seit Beginn dieser Woche sind in Norwegen die Wahllokale geöffnet. Bis zum 9. September sind nun knapp vier Millionen Stimmberechtigte aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Ausserhalb der Wahllokale geht der Wahlkampf weiter.

In der südnorwegischen Hafenstadt Arendal treffen sich in dieser Woche Vertreterinnen und Vertreter sämtlicher Parteien mit Bürgerinnen und Bürgern zu einem politischen Festival, das, so Parlamentspräsident Masud Gharahkhani, das norwegische Demokratiemodell feiern soll.

Zu diesem Modell gehöre der Umgang mit dem Rohstoffreichtum des Landes. So fliessen die Gewinne aus der Öl- und Gaswirtschaft seit Jahrzehnten in einen Staatsfonds, der namentlich die Altersrenten sichern soll. Mit einer mittlerweile gesammelten Geldmenge von umgerechnet fast 20’000 Milliarden norwegische Kronen (etwa 1600 Mrd. Franken) ist dieser norwegische Ölfonds heute der grösste Staatsfonds weltweit. Für jede Norwegerin und jeden Norweger sind das gut 350’000 NOK.

Kratzer im Selbstbild

Viele Menschen im Land tun sich zunehmend schwer mit diesem Reichtum. Am Demokratiefestival in Arendal kommt es immer wieder zu öffentlichen Protesten.

Seit Jahren schon tut sich in der norwegischen Klimapolitik ein grosser Graben auf. International tritt Oslo als lautstarker Förderer von Massnahmen zur Reduktion schädlicher Emissionen auf und setzt im eigenen Land konsequent auf die Elektromobilität. Gleichzeitig gehört das Land mit seinen grossen Exportmengen an Öl und Gas indirekt zu den grössten Verschmutzern weltweit.

Nun wird auch in der Geopolitik ein Widerspruch immer deutlicher. Auf der einen Seite unterstützt Norwegen die Ukraine gegenüber dem russischen Aggressor, auf der anderen Seite profitiert es stärker als jedes andere Land in Europa von den gestiegenen Energiepreisen und den Sanktionen gegen Russland.

Wir meinten immer, Norwegen sei eine Friedensnation, die den Friedensnobelpreis verleiht. Jetzt setzen wir Profit vor Menschenleben. Das ist völlig inakzeptabel.
Autor: Guri Melby Vorsitzende der Venstre-Partei

Hinzu kommt die Entwicklung im Nahen Osten. Dort hat sich Oslo als prominenter internationaler Fürsprecher eines palästinensischen Staates einen Namen gemacht. Gleichzeitig aber hat der Staatsfonds massiv in israelische Rüstungsfirmen investiert, welche dank des Gazakriegs viel Geld machen. Viele Millionen fliessen jetzt in den norwegischen Rentenfonds zurück.

In einer Debatte der Chefs aller im norwegischen Parlament vertretenen Parteien hagelte es in Arendal viel Kritik, etwa von der sozialliberalen Parteivorsitzenden Guri Melby: «Wir meinten immer, Norwegen sei eine Friedensnation, die den Friedensnobelpreis verleiht. Jetzt setzen wir Profit vor Menschenleben. Das ist völlig inakzeptabel.»

Stoltenberg zieht die Notbremse

Inzwischen hat diese Debatte um die Israelinvestitionen Folgen. Finanzminister Jens Stoltenberg hat die Notbremse gezogen und einen Kurswechsel angekündigt. «Norwegen unterstützt die Sache der Palästinenser und hat Palästina im letzten Jahr als unabhängigen Staat anerkannt», sagte Stoltenberg. Dann fügte er hinzu, dass die Mittel des Staatsfonds künftig nicht mehr in Firmen fliessen dürfen, welche mit Völkerrechtsverstössen in Verbindung gebracht werden.

Jens Stoltenberg
Legende: Der ehemalige Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist inzwischen norwegischer Finanzminister. Nach der anhaltenden Kritik am Israel-Geschäft des Staatsfonds zieht er die Notbremse. Keystone/AP/NTB/Fredrik Varfjell

Der Staatsfonds hat mittlerweile mitgeteilt, sich aus elf israelischen Rüstungsfirmen zurückzuziehen und künftig auch nicht mehr mit israelischen Fondsverwaltern zusammenzuarbeiten.

Es ist eine sehr späte Wende unter dem Eindruck der Wahlen, und es bleibt abzuwarten, ob dies die aufgebrachte norwegische Öffentlichkeit besänftigen wird.

Korrektur

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In einer ersten Version des Artikels wurde fälschlicherweise von einer «gesammelten Geldmenge von 20'000 Milliarden Franken» des norwegischen Nationalfonds gesprochen. Es handelt sich aber um 20'000 Milliarden norwegische Kronen, was umgerechnet etwa 1600 Milliarden Franken entspricht.

Echo der Zeit, 12.08.2025, 18 Uhr

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