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Kritik an Rede in Rumänien Viktor Orbáns Feindbild: der Migrant

Viktor Orbán empört mit einer kruden Rassentheorie und einem geschmacklosen Witz über Gaskammern. Warum tut er das?

«Wir Ungarn wollen nicht zu Gemischtrassigen werden», sagte der ungarische Ministerpräsident am Samstag in einer Rede im rumänischen Bad Tusnad. Eine Welle der Empörung war ihm sicher.

Nazi-Witz zu Gaskammern

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Ein weiteres sorgfältig kultiviertes Feindbild von Viktor Orbán ist das der bösen EU-Bürokratie. Darauf zielte in seiner Rede vom Samstag ein verstörender Witz über die Gaskammern der Nazis ab: «Da ist etwa der neueste Vorschlag der EU-Kommission, dass jeder seinen Gasverbrauch verpflichtend um 15 Prozent senken soll. Ich sehe nicht, wie das erzwungen werden soll. Obwohl es dafür deutsches Know-how gibt – von früher, meine ich.»

In der Folge trat seine langjährige Beraterin, Zsuzsa Hegedüs, zurück. Die Soziologin war zugleich Sonderbeauftragte für gesellschaftliche Integration und Modernisierung und auch eine enge persönliche Freundin des Premiers. Sie nannte Orbáns Worte «reine Nazi-Reden» und einen «ganz klaren Rassenhass-Diskurs», der «nicht nur diskriminierend, sondern völlig inakzeptabel» sei. Hegedüs ist Jüdin und die Tochter von Eltern, die den Holocaust in Ungarn nur knapp überlebt hatten.

Während Viktor Orbán sprach, besuchte ich, fast 1000 Kilometer entfernt, die Ausstellung «Reiternomaden in Europa» in der Schallaburg, westlich von Wien. Ein wichtiger Teil der Ausstellung widmet sich den Magyaren, «einem Bündnis nomadischer Stämme überwiegend türkischer und finno-ugrischer Herkunft» (Ausstellungstext) deren «Urheimat» nördlich des Kaspischen Meeres liegt, also in Asien. Die Magyaren wanderten im neunten Jahrhundert ins Gebiet des heutigen Ungarn ein und vermischten sich in der Folge auf vielfältige Weise, worauf viele Ungarn durchaus mit Stolz hinweisen.

Ganz abgesehen davon: Die Wissenschaft ist sich längst einig, dass das Wort Rasse «nicht als biologische Einheit oder als klassifikatorisches Element für moderne Menschen geeignet ist», wie der US-amerikanische Anthropologe Bernard Wood 2011 in seinem Standardwerk «Encyclopedia of Human Evolution» schrieb.

Die Ausführungen von Viktor Orbán sind also unter verschiedenen Gesichtspunkten barer Unsinn. Das weiss er natürlich selber. Warum provoziert der ungarische Regierungschef trotzdem auf so verstörende Weise?

Die Antwort ist einfach: Viktor Orbán ist der wohl erfolgreichste Populist Europas. Erfolgreicher Populismus benötigt Feindbilder. Das wichtigste Feindbild linker Populisten ist der böse Kapitalist. Das wichtigste Feindbild rechter Populisten ist der gefährliche Migrant.

Man braucht einen Feind, und das ist der Migrant.
Autor: Paul Lendvai Ungarischer Publizist

Und so analysierte der ungarische Publizist Paul Lendvai denn auch treffsicher: «Er (Viktor Orbán) hat genau gewusst, was die Reaktionen sein werden. Aber er hat nicht nur zu Westeuropa gesprochen, sondern auch zu Ungarn und zum ungarischen Volk. (...) Man braucht einen Feind, und das ist der Migrant.»

Viktor Orbáns Partei Fidesz gewann in den letzten beiden Wahlen jeweils eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Und das, obwohl Orbáns Regierung Demokratie und Rechtsstaat in Ungarn kontinuierlich abbaut. Laut Transparency International ist Ungarn mittlerweile das zweitkorrupteste Land der Europäischen Union.

Ob es westeuropäischen Demokraten gefällt oder nicht: Den ungarischen Wählerinnen und Wählern ist Demokratie und Rechtsstaat schlicht nicht besonders wichtig. Hauptsache, Viktor Orbán hält ihnen die Migranten vom Leib.

Viktor Orbán
Legende: Viktor Orbán bei seinem Staatsbesuch in Wien am 28. Juli 2022, an dem er gegen ihn gerichtete Rassismusvorwürfe zurückwies. Keystone/Max Brucker

Tagesschau, 28.07.2022, 19:30 Uhr

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