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Leitung von Besucherströmen Wie steuert man Menschenmassen wie am Oktoberfest?

Experte Dirk Helbing spricht über die Art und Weise, wie eine grosse Anzahl von Menschen an einem Anlass gelenkt wird.

Das Oktoberfest in München musste kürzlich wegen einer Bombendrohung geschlossen werden. Doch im Normalfall schlagen sich die Organisatoren mit ganz anderen Problemen herum: mit Überfüllung. Am Wochenende wurden zwischenzeitlich keine neuen Gäste mehr in die Festzelte gelassen, weil das Gelände teilweise überfüllt war. Dirk Helbing von der ETH Zürich befasst sich damit, wie Menschenmassen an Grossanlässen beeinflusst werden können.

Dirk Helbing

forscht im Bereich Sozialwissenschaften an der ETH

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Dirk Helbing ist Professor für computergestützte Sozialwissenschaft am Department für Geistes-, Sozial- und Politikwissenschaften der ETH Zürich und Affiliate des Informatikdepartments. Ausserdem ist er Mitglied der externen Fakultät des Complexity Science Hub Wien.

SRF News: Wie schätzen Sie die Situation am letzten Wochenende ein, als keine Gäste mehr in die Festzelte gelassen wurden?

Dirk Helbing: Es braucht Pläne für alle möglichen Eventualitäten – Überfüllung eingeschlossen –, auch für Situationen wie Hagel oder eine Schlägerei. Man muss in solchen Situationen sofort wissen, was zu tun und was zu sagen ist. In diesem konkreten Fall am Oktoberfest wurde die Durchsage offensichtlich improvisiert. Sie wurde auch nicht in mehreren Sprachen durchgegeben und insofern haben sich viele nicht informiert gefühlt.

Die Durchsage muss nachvollziehbar, glaubhaft und vertrauenswürdig sein.

Worauf muss man achten, damit sich alle informiert fühlen und es im Notfall klappt?

Es muss eine sichere Stimme sein. Die Durchsage muss nachvollziehbar, glaubhaft und vertrauenswürdig sein. Insofern muss der Inhalt gut überlegt sein. Er wird in der Regel vor den Veranstaltungen ausgearbeitet, in Zusammenarbeit mit Psychologinnen und Psychologen. Die Texte werden in mehreren Sprachen vorneweg aufgenommen. Das Oktoberfest ist eine internationale Veranstaltung. Da kommen die Leute aus aller Welt und viele sprechen kein Deutsch. Das heisst, man muss hier in vielen verschiedenen Sprachen informieren.

Wie wichtig ist es, die Personenströme gut zu planen?

In der Tat scheint das Reservierungsmanagement für die Probleme mitverantwortlich gewesen zu sein. Die Leute mussten vor dem Zelt warten. Dort ist es zur Überfüllung gekommen. Auch die Fläche im Zelt wurde nicht gut genutzt. Über dieses Reservierungssystem wird man nochmal reden müssen.

Eingangsschild zum Oktoberfest 2025 in München
Legende: Nicht nur eine Bombendrohung bremst das Fest: Am Wochenende musste der Zutritt zum Fest für einige Zeit gesperrt werden. Der Grund war Überfüllung. Reuters / Angelika Warmuth

Können Crowd-Spotterinnen und -Spotter – Menschen, die die Menschenmassen beobachten – helfen, derartige Situationen zu vermeiden?

Auf solchen Festgeländen gibt es sicherlich Stellen, wo es wichtig ist, dass man frühzeitig erkennt, wenn sich die Menge verdichtet und eine Überfüllung eintritt. Dafür Personen einzusetzen, die die Massen beobachten, scheint mir Sinn zu ergeben.

Es gibt Verfahren, mit denen man Videosignale so darstellt, dass man gar keine Personen sieht, sondern nur die Menschendichte.

Auf das nächste Jahr hin soll es ein Echtzeitmonitoring geben. Was muss man sich darunter vorstellen?

Das Thema Echtzeitmonitoring ist sehr beliebt. Es werden Kameras eingesetzt. Die Diskussionen sind kontrovers, weil man befürchtet, dass man sie auch zur Überwachung von Einzelnen einsetzen könnte, dass das Videomaterial aufgehoben würde und auf eine nicht zweckgemässe Art und Weise verwendet würde. Aber es gibt Verfahren, mit denen man Videosignale oder auch andere Sensorsignale so darstellt, dass man gar keine Personen sieht, sondern nur die Menschendichte. Wenn sich eine Überfüllung anbahnen würde, dann würde man das durch eine rot-orange Markierung erkennen.

Blick auf enie Menschenmasse von hinten, die an das Oktoberfest geht.
Legende: Damit es nicht mehr zu Überfüllung kommt, soll nächstes Jahr am Oktoberfest ein Echtzeitmonitoring eingesetzt werden. Reuters / Angelika Warmuth

Wie viel früher hätte ein Echtzeitmonitoring vergangenes Wochenende in München vorausgesagt, dass es zu einer heiklen Situation kommen könnte?

Ich würde vermuten, einige wenige Minuten. Das kann allerdings durchaus einen Unterschied machen. Jede einzelne Minute, die man gewinnt, kann wertvoll sein. Das muss man sicherlich berücksichtigen.

Das Gespräch führt Yves Kilchör.

SRF 4 News, 2.10.2025, 6:39 Uhr ; 

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