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Machtkampf in Venezuela Das Gespenst einer Militärintervention

Die Situation in Venezuela ist verfahren. Vor fast zwei Monaten hat sich Juan Guaidó zum Übergangspräsidenten ernannt. Mehr als fünfzig Länder weltweit anerkennen ihn bislang. Dennoch hat sich am Status quo in Venezuela nichts geändert: Die Macht im Land liegt bei Nicolás Maduro.

Die USA unterstützen weiter Guaidó – und drohen unverhohlen mit militärischem Eingreifen. Ein gefährliches Spiel, findet der argentinische Politikprofessor Juan Gabriel Tokatlian: Denn die Rhetorik wecke ungute Erinnerungen an US-Interventionen früherer Tage in lateinamerikanischen Ländern.

Juan Gabriel Tokatlian

Politikprofessor

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Der argentinische Politikprofessor Juan Gabriel Tokatlian ist Experte für die Beziehungen Lateinamerikas zu den USA.

SRF News: Juan Guaidó und Nicolás Maduro geben sich, als hätten sie alle Zeit der Welt. Haben sie diese wirklich?

Juan Gabriel Tokatliàn: Wir befinden uns in einem negativen Pattzustand. Guaidó hat keine Macht im Land und lenkt weder Wirtschaft noch Aussenpolitik, noch kontrolliert er die Streitkräfte. Das sorgt für Frustration in der Opposition. Maduros Machtbasis wiederum erodiert durch die Vielzahl der Krisen im Land: die humanitäre Krise, die diplomatische Krise und zuletzt die Energiekrise mit ihren schrecklichen Folgen. Zum ersten April könnte die Situation noch dramatischer werden, denn dann greifen die verschärften Sanktionen der USA.

Warum haben die USA eine so grosse Bedeutung in diesem Konflikt?

Einer der Gründe ist die Fragmentierung innerhalb Lateinamerikas. Dadurch verliert die Stimme der Region immer weiter an Bedeutung. Das wiederum gibt Gesprächen zwischen Washington und Moskau über Venezuela mehr Gewicht. Oder auch den Ankündigungen Washingtons, man sei bereit, militärisch einzugreifen.

Juan Guaidó berief sich mehrfach auf Artikel 187 der venezolanischen Verfassung. Dieser erlaubt der Nationalversammlung, ausländische Militärmissionen im Land zu genehmigen.

Ich halte es für einen grossen Fehler Guaidós, durchblicken zu lassen, dass er bereit sei, die USA zu einer militärischen Intervention einzuladen. Das bedeutete für ihn innerhalb Venezuelas einen Rückschritt, denn es hat die Nationalisten revitalisiert. Das brachte die Streitkräfte dazu, ihre Unterstützung für Maduro zu bekräftigen. Gewisse Sektoren der Opposition sind nicht einverstanden.

Guaidós Andeutungen stossen auch vielen US-Senatoren auf.

Es ist auch vielen Senatoren in den USA aufgestossen, die sagten: Ihr könnt einladen, wozu ihr möchtet. Aber über eine militärische Intervention entscheidet der Kongress der Vereinigten Staaten durch ein Sondergesetz. Ich glaube, dass all das mehr Verwirrung als Rückhalt bewirkt hat. Und ich glaube auch, dass wir eher einen psychologischen Krieg als eine tatsächliche Kriegsvorbereitung sehen.

Wie stehen die anderen Länder in Lateinamerika zu einer Intervention?

Die meisten Länder der Region lehnen ein militärisches Eingreifen der USA ab – und zwar nicht nur links regierte Länder, sondern auch rechte Regierungen. Eine Intervention würde ein grosses Risiko bedeuten. Allein die Vorstellung weckt Erinnerungen: Im 20. Jahrhundert haben die USA 38 Mal mit Waffengewalt in Lateinamerika eingegriffen, davon 37 Mal in Zentralamerika und der Karibik.

Es geht für viele auch darum, ein zweites Kuba in Venezuela zu vermeiden.

Aber das letzte Wort ist nicht gesprochen. Denn es geht für viele auch darum, ein zweites Kuba in Venezuela zu vermeiden. Wie es weiter geht, hängt allerdings auch davon ab, wie gross der Leidensdruck für die Nachbarländer wird, etwa durch die Migrationskrise.

Vertreter Russlands und der USA haben über Venezuela gesprochen, doch ihre Positionen sind diametral entgegengesetzt. Russland erkennt Maduro an, die USA stützen Guaidó.

Das Treffen erinnert an die Kubakrise 1962, als Moskau und Washington durch ein Abkommen einen Krieg verhinderten – ohne Beteiligung der Kubaner. Die Grossmächte spielen auf einer eigenen Ebene. Heute geht es auf dieser Ebene auch um Syrien oder die Ukraine. Ich denke, dass Moskau einen Dialog mit Washington sucht, in dem mehrere Punkte auf der Agenda stehen. Und was bei solchen Treffen besprochen wird, liegt ausserhalb des Einflussbereichs der venezolanischen Regierung oder auch der Opposition.

Wie sind denn die Perspektiven?

Wenn es so weitergeht oder die Situation sich weiter verschlimmert und militärische Alternativen in Betracht gezogen werden, ist ein Rüstungswettlauf in der Region nicht auszuschliessen. Und zwar zwischen mehreren Ländern, darunter Kolumbien und Venezuela. Das wäre ein keinesfalls wünschenswertes Szenario – gerade in einer instabilen Region mit extremer Polarisierung, von Mexiko im Norden bis Chile im Süden. Wir brauchen dringend umsichtige, innovative Vorschläge zur einer politischen Lösung der Krise.

Das Gespräch führte Karen Naundorf.

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