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Völkerrechtliche Anerkennung im Machtkampf in Venezuela
Aus Echo der Zeit vom 29.01.2019. Bild: Keystone
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Machtpoker um Venezuela «Eine Anerkennung Guaidós kann Unruhen verstärken»

Wenn die USA einen Oppositionsführer postwendend als legitimen Präsidenten anerkennen, schwingt Kalkül mit, sagt Völkerrechtsexperte Oliver Diggelmann.

Der Machtkampf in Venezuela spaltet die Welt: Die USA stellen sich hinter Oppositionsführer Juan Guaidó. Russland, die Türkei und Iran unterstützen den autoritären Staatschef Nicolás Maduro. Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Spanien setzen dem Machthaber ein Ultimatum.

Wenn er nicht innerhalb einer Woche Neuwahlen ausrufe, werden auch sie Guaidó als legitimen Präsidenten anerkennen. Für Völkerrechtsprofessor Oliver Diggelmann ist klar: Im Spiel der Grossmächte um Venezuela hat die Frage der Anerkennung entscheidende Bedeutung.

Oliver Diggelmann

Oliver Diggelmann

Professor für Völkerrecht

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OIiver Diggelmann lehrt an der Universität Zürich Völkerrecht, Öffentlichkeitsrecht und Staatsphilosophie. Neben Aufenthalten an Universitäten in Grossbritannien, den USA, Deutschland und Ungarn, war er persönlicher Mitarbeiter des Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR.

SRF News: Ist es aus völkerrechtlicher Sicht legal, den Oppositionellen Guaidó als Präsidenten anzuerkennen?

Oliver Diggelmann: Zunächst muss man fragen, wer die völkerrechtlich anerkannte Regierung ist. Grundsätzlich ist das diejenige, die effektiv die Macht im Staat innehat. Nach jetzigem Stand liegt diese Macht bei der Regierung Maduro – obwohl gewisse Elemente von ihm abrücken.

Eine anerkannte Regierung kann ein Eingreifen Dritter autorisieren. Sie kann also dritte Mächte zur Intervention ‹einladen›.

Das heisst: Wer heute Maduro anerkennt, verletzt sicher kein Völkerrecht. Bei der Gegenregierung ist es schwieriger. Man kann nicht sagen, dass ihre Anerkennung klar nicht mit Völkerrecht vereinbar wäre. Die Situation ist aber nicht so eindeutig.

Dann wäre es unter Umständen völkerrechtlich legal, eine Opposition als Regierung anzuerkennen?

Es gibt Fälle, in denen auch Gegenregierungen ohne effektive Macht anerkannt wurden. Es gab Fälle von demokratisch gewählten und gestürzten Regierungen. Konkret Haiti 1994 und Sierra Leone 1997. In Gambia gelangte 2017 eine gewählte Regierung gar nicht an die Macht, wurde dann aber anerkannt. Schliesslich wurden in Libyen Aufständische nach ersten Erfolgen anerkannt, weil man Muammar al-Gaddafi weghaben wollte.

Wer entscheidet, ob es völkerrechtlich konform ist, eine Regierung anzuerkennen?

Grundsätzlich die internationale Gemeinschaft. Faktisch spielen die Grossmächte eine Schlüsselrolle: Die USA, Russland, führende EU-Staaten. Bedeutung kommt auch dem UNO-Sicherheitsrat zu. Er kann bei einer Friedensbedrohung Massnahmen anordnen, die sich direkt oder indirekt auf diese Anerkennungsfrage auswirken.

Warum ist es für eine Regierung überhaupt so wichtig, anerkannt zu werden?

Es hat rechtliche Konsequenzen. Zum einen hat eine anerkannte Regierung, die einen Staat vertritt, Zugriff auf Gelder, die im Ausland liegen. Zweitens – und das ist besonders heikel – eine anerkannte Regierung kann ein Eingreifen Dritter autorisieren. Sie kann also dritte Mächte zur Intervention «einladen».

Der Gedanke, dass am Ende der Anerkennung der Gegenregierung durch die USA eine militärische Intervention stehen könnte, scheint mir nicht aus der Luft gegriffen.

Die Regierung Malis hat das etwa 2013 gemacht, als sie Frankreich während Unruhen im Land herbeirief. Die Grenzen der Zulässigkeit solchen «Eingreifens auf Einladung» sind aber heftig umstritten.

Wie sinnvoll ist es, Regierungen anzuerkennen, die faktisch nicht die Macht im Staat haben?

Generell lässt sich die Frage nicht beantworten. Im Fall von Venezuela haben die USA die Gegenregierung anerkannt – nach nicht einmal einer Stunde. Eine solche Intervention kann Unruhen verstärken, allenfalls gewaltsame Konflikte auslösen. Wenn man nicht ganz blauäugig ist, muss man annehmen, dass die USA eine solche Dynamik auslösen wollten. Es handelte sich um eine ausserordentlich aggressive Anerkennung. Der Gedanke, dass am Ende eine militärische Intervention der USA stehen könnte, scheint mir nicht aus der Luft gegriffen.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

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