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Männergewalt im Nahen Osten «Tote Frauen sind keine befreiten Frauen»

Gewalt gegen Frauen in Jordanien: Das Problem seien nicht die Männer, sagt Politologin Sara Ababneh.

Diese Woche hat die internationale Kampagne «16 Tage gegen Gewalt gegen Frauen» begonnen. Mit westlichen Rezepten sei dieser Kampf im Nahen Ostern allerdings nicht zu gewinnen, sagt Sara Ababneh. Im Gegenteil: Der Westen sei Teil des Problems. Ababneh forscht am Center for Strategic Studies der Jordan University in Amman zu Frauen, jordanischen Protestbewegungen und wirtschaftlicher Diskriminierung, und spricht – dank ihrer deutschen Mutter – Deutsch.

Entsetzliche Tat gegen die Ehefrau

Ein Fall von häuslicher Gewalt entsetzte ganz Jordanien. In der Stadt Jerash stach ein Mann seiner Frau während eines Streits die Augen aus. Auch Ababneh hat der Fall schockiert.

Sie findet aber, in der Debatte über diesen Fall komme ein Aspekt zu kurz, nämlich die Armut dieses Ehepaares. Sie sei eine Auswirkung der wirtschaftlichen Gewalt. «Die ganze Familie hatte 80 Dinar pro Monat zur Verfügung.» Das sind umgerechnet 112 Franken pro Monat. Sozialhilfe wie in der Schweiz kennt Jordanien nicht.

Was die Dozentin wirtschaftliche Gewalt nennt, erschwere in Jordanien den Kampf von Frauenrechtlerinnen. Als Jordanien im Jahr 2000 Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO) wurde, änderte das Land über 200 Gesetze im Eiltempo. Einige dieser Gesetze schränkten Einsprachemöglichkeiten von NGOs ein. Andere zementierten Steuersätze, von denen Reiche profitierten. Die Arbeitslosigkeit blieb hoch.

Nur drei Gesetze verabschiedete das Parlament damals nicht: Alle hatten mit mehr Frauenrechten zu tun. Einspruch von westlichen Geldgebern gab es nicht. Das empfindet Ababneh als zynisch, es drücke die Haltung aus: «Wir haben euch wirtschaftlich entmachtet, aber ihr könnt wenigstens noch Männer sein, indem ihr Männer in euren Familien seid.»

«Ehrenmorde?»

Der Westen gebe seit jeher vor, die unterdrückten Frauen im arabischen Raum befreien zu wollen. In der Neuzeit hätten vor allem die USA im Nahen Osten damit Gegenreaktionen ausgelöst. 0bwohl im Irak unter Saddam Hussein Frauen beste Berufschancen hatten und zum Beispiel als Ärztinnen arbeiteten, hätten die USA behauptet, ihr Einmarsch im Irak gelte auch der Befreiung der Frau.

Dieses Argument hätten die USA ebenfalls bei ihrem Angriff auf Afghanistan vorgeschoben. «Wenn man Afghanen bombardiert und sie umbringt, befreit man keine Frauen. Tote Frauen sind keine befreiten Frauen.»

Aber nicht nur mit Kriegen und seiner Wirtschaftspolitik mache sich der Westen im Nahen Osten unglaubwürdig, sagt Ababneh. Sie stösst sich auch daran, dass der Westen im Fall vom Nahen Osten von «Ehrenmorden» spricht.

Der Westen brauche diesen Begriff, um zu behaupten, die Gewalt gegen Frauen sei in dieser Region schlimmer als im Westen. «Wenn man Ehrenmord so definiert, dass eine Frau von ihrem Mann umgebracht wird, weil er glaubt, sie habe ihn betrogen, dann sind die USA das Land mit den meisten Ehrenmördern», so die Forscherin.

Wirtschaftliche Gewalt

Spezielle Kategorien für Gewalt gegen Frauen in muslimischen Ländern zu schaffen, helfe den Frauen nicht, die Gewalt gegen sie zu bekämpfen. Genauso wenig, wie es ihnen helfe, die Debatte auf gewalttätige Männer zu reduzieren.

«Die Hauptunterdrückung kommt nicht vom Mann. Sie kommt von einem wirtschaftlichen System, das jeden Tag die Armut vermehrt.» Genau das bezeichnet die Forscherin als wirtschaftliche Gewalt. Ohne über diese zu reden, nützten westliche Rezepte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wenig.

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