Wer aus dem Gewirr der engen Gassen heraustritt und auf einmal den weiten Markusplatz und die Basilika vor sich sieht, bemerkt zunächst keine Veränderung. Alles ist wie immer: die eleganten Arkaden, der mächtige Glockenturm sowie die reich verzierte Fassade der Markus-Basilika. Man muss genauer hinschauen, um die Schäden zu entdecken.
Venedig wurde vor gut zwei Wochen von einem schlimmen Hochwasser heimgesucht. Erst einmal in der langen Geschichte der Stadt stand das Wasser noch höher. Langsam zieht sich das Wasser nun zurück und die Schäden werden sichtbar. Auch wenn sich deren ganzes Ausmass erst später zeigen wird. Denn das eingesickerte Salz zersetzt wertvolle Steine wie Marmor erst allmählich.
Mario Piana ist der leitende Restaurator der Markuskirche. Er hat den Überblick über das, was das Hochwasser angerichtet hat. «Beim Hauptportal von San Marco, der Porta Maggiore, befindet sich der tiefste Punkt der ganzen Stadt».
1.30 Meter hoch stand das Meerwasser hier vor zwei Wochen. Aber auch sonst, bei geringeren Hochwasserständen, werde diese tiefste Stelle regelmässig überschwemmt.
Die Folgen sind selbst für den Laien klar ersichtlich. Restaurator Piana zeigt einen roten Marmorstein, der brüchig, ja löchrig geworden ist. Dabei ist es nicht das Wasser, das diesen edlen Stein zerfressen hat, sondern das Salz. Wasser verdunstet, das Salz aber bleibt konzentriert im Marmor zurück und macht ihn langsam mürbe.
Retten könne man diesen Stein nicht mehr, man müsse ihn ersetzen – beim Marmor gleich daneben ist das schon geschehen: «Wir haben den genau gleichen Marmor genommen und ihn genauso behauen, wie es die Steinmetze vor bald 1'000 Jahren taten.» Trotzdem sieht man sofort, dass der Stein neu, also ein Duplikat, ist.
Es ist offensichtlich, wie sehr die Bilder dem Restaurator in der Seele schmerzen, er kennt die Steine seiner Basilika, er spricht von ihnen wie von Freunden. Viele Säulen oder Verzierungen sind antik. Die Venezianer brachten sie nach den Kreuzzügen als Beute aus Konstantinopel mit. Nun zerfallen viele.
Beim Hochwasser stand die gesamte Basilika, samt der Krypta, unter Wasser. Die Schäden sind vor allem am reich verzierten Boden und im untersten Bereich des Gemäuers ersichtlich.
Doch das ist leider nicht alles. Weil das Baumaterial porös ist, steigt die Nässe und mit ihr das Salz: «Die Kapilarkraft führt dazu, dass die Schäden auch die oberen Teile der Kirche betreffen.»
Mario Piana schaut in die Höhe und zeigt mit dem Finger auf die weltberühmten, goldenen Mosaiken: «Einzelne Mosaiksteinchen haben sich gelöst. Das wird weitergehen», sagt er. Auch darum sei es unmöglich, ja unseriös, die Schäden heute auch nur ansatzweise zu beziffern.
Die einzige Rettung wäre ein effizienter Flutschutz. Schon heute verfüge die Markuskirche über Sperren und Pumpen, die das Wasser bis auf eine Höhe von 1.10 Meter über Normalpegel zurückhalten.
Doch wenn das Wasser auf 1.87 Meter steige wie vor zwei Wochen, dann könne nur noch eines helfen – Mose. «Solche Wassermassen könnte einzig, der vor bald 20 Jahren begonnene Schutzdamm zurückhalten», sagt Piana. Könnte. Denn Mose ist noch immer unvollendet. Und keiner weiss, wann und ob dieser Damm die Markuskirche und ganz Venedig mit seinen Schätzen je wird schützen können.