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Massenproteste in Indien «Ein Minister bezeichnete muslimische Flüchtlinge als ‹Termiten›»

Zehntausende Inder demonstrieren gegen ein neues Einbürgerungsgesetz – trotz eines Versammlungsverbots. Sie kritisieren, das Gesetz diskriminiere Muslime und sei verfassungswidrig. Hunderte Menschen sind vorübergehend festgenommen worden, zwei Personen wurden offenbar in Südindien von der Polizei erschossen. Doch nicht nur bei Muslimen brodelt es, schildert ARD-Korrespondentin Silke Diettrich.

Silke Diettrich

ARD-Korrespondentin

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Diettrich ist seit 2017 Südasien-Korrespondentin für die ARD in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi.

SRF News: Es gibt Berichte über Todesopfer, Festnahmen, Verkehrsbehinderungen, geschlossene Schulen und Restaurants: Können Sie uns schildern, was sich bei Ihnen gerade abspielt?

Silke Diettrich: Hier in Neu-Delhi sind noch immer U-Bahn-Stationen gesperrt. Damit versucht die Regierung zu verhindern, dass sich die Demonstranten sammeln können. Auch heute ist aber im Fernsehen zu sehen, wie sich nach dem Freitagsgebet über 5000 Menschen vor einer grossen Moschee in der Stadt versammelt haben.

Es ist fraglich, ob sich die Leute weiter trauen, zu demonstrieren. Auf der anderen Seite ist der Frust der Menschen gewaltig in der Bevölkerung.

Auf den Bildern ist zu sehen, wie Menschen in Polizeiwagen abgeführt werden. Die Situation ist weiter aufgeheizt, auch wenn nicht mehr so viele Leute wie gestern auf der Strasse sind. Das mag auch daran liegen, dass die Behörden alles daran setzen, die Demonstrationen zu verhindern. So wurden vielerorts die Internetverbindungen gekappt.

Warum reagieren die Behörden mit solcher Härte gegen die Demonstrationen?

Sie haben Angst, dass sich diese immer weiter auswachsen. Sie sind vom Ausmass der Proteste überrascht worden. Jetzt wird versucht, es einzudämmen.

Demonstrant in Indien mit zugeklebtem Mund
Legende: Seit Tagen protestieren Zehntausende in Indien gegen ein neues Gesetz, das illegal eingereisten Migranten aus den drei mehrheitlich muslimischen Nachbarländern Bangladesch, Pakistan und Afghanistan die Einbürgerung erleichtert, wenn sie keine Muslime sind. Reuters

Was sind das für Leute, die gegen dieses Gesetz auf die Strasse gehen?

Viele von ihnen sind Muslime. Es sind aber auch viele Studierende, Aktivisten, Liberale, ja sogar Bollywood-Stars dabei. Das Gesetz ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Aus ihrer Sicht richtet sich das Gesetz gegen die säkulare Demokratie.

Schliesslich steht in der indischen Verfassung, dass alle Religionen gleich behandelt werden müssen. Die Menschen fürchten ganz allgemein, dass die regierenden Hindu-Nationalisten aus ihrer säkularen Demokratie einen «Hindu-Staat» machen wollen. Dem wollen sie Einhalt gebieten.

Wie gross ist die Unterstützung innerhalb der Bevölkerung? Es sieht nicht danach aus, als würden die Proteste die Regierung von Premierminister Narendra Modi zum Umdenken bewegen.

Auf keinen Fall. Es ist einzig denkbar, dass das Oberste Gericht interveniert. Es gibt bereits 60 Anträge, das Gesetz zu überprüfen. Dies soll auch geschehen, aber erst im Januar. Die Regierung selbst bleibt hart. Sie hat lediglich verlauten lassen, dass sie nicht vorhat, das Gesetz wieder zurückzunehmen. Der Innenminister etwa bezeichnete muslimische Flüchtlinge als «Termiten».

Polizisten marschieren in Ahmedabad auf.
Legende: Die Wut in der Bevölkerung wächst. Ebenso die Härte, mit der die Behörden gegen die Proteste vorgehen. Reuters

Rechnen Sie damit, dass sich die Lage weiter zuspitzt?

Das ist schwierig vorauszusagen, auch angesichts der Gegenmassnahmen wie dem Versammlungsverbot und latenter Drohungen. Wenn junge Menschen an den Demos festgenommen werden, steht in ihrem Führungszeugnis, dass sie eine Straftat begangen haben. Das schreckt viele ab. Ein Gouverneur in einer benachbarten Provinz drohte damit, dass Häuser und Wohnungen beschlagnahmt werden, wenn öffentliche Einrichtungen angegriffen werden. Es ist fraglich, ob sich die Leute weiter trauen, zu demonstrieren. Auf der anderen Seite ist der Frust gewaltig in der Bevölkerung.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

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