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Medizinische Forschung «Es gibt keinen kommerziellen Markt für Malariaimpfstoffe»

Es gibt Hoffnung im Kampf gegen Malaria. Ghana lässt als erstes Land einen neuen Impfstoff zu. Jährlich sterben 600'000 Menschen an der Tropenkrankheit, meistens Kinder. Claudia Daubenberger ist Infektionsbiologin am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel. Sie hat jahrelang an der Entwicklung des Vorgänger-Impfstoffs mitgearbeitet.

Claudia Daubenberger

Leiterin der klinischen Immunologie

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Claudia Daubenberger ist Leiterin der klinischen Immunologie am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Epidemiologie von Infektionskrankheiten, vor allem in Ländern des globalen Südens. Sie hat langjährige Erfahrung in der klinischen Entwicklung von Impfstoffen, vor allem gegen Malaria und Tuberkulose in Afrika.

SRF News: Was macht den neuen Impfstoff so wirkungsvoll?

Claudia Daubenberger: Er ist sehr wirkungsvoll, da er in grossen Mengen hergestellt werden kann. Das Serum-Institut of India hat versprochen, dass es ungefähr 200 Millionen Dosen pro Jahr herstellen kann. Von seinem Vorgänger können nur ungefähr 100’000 Dosen pro Jahr hergestellt werden, da er in seiner Zusammensetzung komplexer ist.

Dieser Malariaimpfstoff wurde nicht von einem Pharmakonzern entwickelt, sondern von der Universität Oxford. Was macht das für einen Unterschied?

Es gibt keinen kommerziellen Markt für Malariaimpfstoffe. Das ist schon lange ein Problem. Deshalb gibt es auch keine Anreize für die Industrie, sich dort gross einzubringen. Und Oxford als europäisches Institut wurde über viele Jahre hinweg auch von der Europäischen Union dahingehend stark unterstützt.

Eine Hand zieht ein Impfstoff aus einem Fläschchen mit einer Spritze auf
Legende: Ghana hat das Heft selbst in die Hand genommen und die Impfung selbst zugelassen. Reuters/Baz Ratner

Warum hat Malaria so drastische Auswirkungen auf die betroffenen Gesellschaften?

Jedes Kind, das in einer solchen Umgebung lebt, hat während seines Heranwachsens mehrere Malariaepisoden. So nennen wir die Fieberschübe durch Malaria. Die verursachen unter anderem auch Anämie (dt. Blutarmut, Anmerk. der Red.). Diese kann dann für weitere Sekundärinfektionen verantwortlich sein. Auch das Wachstum und die kognitive Entwicklung dieser Kinder werden negativ beeinflusst. Jede Malariaepisode – das sind ungefähr 200 Millionen pro Jahr – hat auch zur Folge, dass Familien Geld für die Medikamente und die Reise zum Spital ausgeben müssen. Eine Krankheitsepisode ist immer eine gefährliche Phase für die gesunde Entwicklung eines Kindes. Und Malaria ist auch eine gefährliche Krankheit für schwangere Frauen. Totgeburten durch Malaria sind keine Seltenheit.

Jeder Gesundheitsminister oder auch der Regierungschef hat die Möglichkeit, neue Medikamente in seinem Land zuzulassen.

Ghana lässt den neuen Impfstoff zu, noch bevor die Resultate der letzten klinischen Studien veröffentlicht wurden. Warum?

Jeder Gesundheitsminister oder auch der Regierungschef hat die Möglichkeit, neue Medikamente in seinem Land zuzulassen. Dieser Weg wurde bislang nicht häufig begangen, aber durch die Eindrücke der Coronakrise, auch durch die sehr schleppende Zulassung des vorherigen Impfstoffs hat die Regierung in Ghana beschlossen, das Heft selbst in die Hand zu nehmen und die Entscheidung zu treffen, auch wenn die FDA oder die EMA diese Dossiers noch nicht gesehen hat.

Auf dem Bild ist eine feingliedrige Mücke auf gelbem Hintergrund zu erkennen.
Legende: Malaria wird durch Mücken übertragen. Reuters/Handout/USA

Die Gesundheitsbehörden von Ghana emanzipieren sich demnach ein Stück weit von den US-amerikanischen und europäischen Gesundheitsbehörden. Was bedeutet das?

Der Schritt ist sehr wichtig für Afrika. Afrika leidet unter Infektionskrankheiten, die wir in Europa oder Amerika nicht haben.

Nun können die afrikanischen Behörden Impfstoffe oder Medikamente zulassen, die für ihre eigenen Bevölkerungen von höherer Wichtigkeit sind als zum Beispiel für uns.

Darum ist jede Zulassung, die über europäische und amerikanische Behörden laufen muss, für solche Krankheiten hochproblematisch. Nun können die afrikanischen Behörden Impfstoffe oder Medikamente zulassen, die für ihre eigenen Bevölkerungen von höherer Wichtigkeit sind als zum Beispiel für uns. Und ein wichtiger Treiber dieses Schrittes war die Erfahrung mit der Corona-Pandemie. Dort wurden die Impfstoffe in Europa und Amerika sehr sorgfältig getestet und dann zugelassen. Geliefert nach Afrika wurde nichts oder nur sehr spät.

Das Gespräch führte Amir Ali.

SRF 4 News, 17.04.2023, 06:40 Uhr ; 

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