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Venezuela: Wenn im Gefängnis Party gemacht wird
Aus SRF 4 News vom 22.09.2023. Bild: Keystone-SDA
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Megabande in Venezuela Wie eine kriminelle Bande ihr berüchtigtes Gefängnis verlor

In Venezuela haben Behörden mithilfe von 11'000 Soldaten die Kontrolle über das berüchtigtste Gefängnis des Landes zurückerlangt. «Tocoron» wurde von einer kriminellen Megabande mit dem Namen Tren de Aragua geleitet. Sie nutzte das Gefängnis als Hauptsitz und installierte einen Pool, einen Nachtclub und einen kleinen Zoo. Hildegard Willer, freie Journalistin in Südamerika, ordnet das Geschehnis ein.

Hildegard Willer

Hildegard Willer

Journalistin und Dozentin

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Hildegard Willer ist langjährige freischaffende Auslandskorrespondentin in Peru. Sie berichtet u. a. für die Katholische Nachrichten-Agentur, die Zeitschrift welt-sichten, bild der wissenschaft, Woz, Radio SRF und Deutschlandradio über die Themen Umwelt, Soziales und Religion.

SRF News: Warum haben sich die Behörden entschieden, jetzt einzuschreiten?

Hildegard Willer: Dazu gibt es mehrere Hypothesen. Wenn 11'000 Soldaten einmarschieren, ist dies eine klare Machtdemonstration der Regierung. Ebenfalls ist gestern ein Bericht der UNO-Kommission zur Menschenrechtslage in Venezuela veröffentlicht worden, bei der die Regierung nicht gut wegkam. Das könnte ein weiterer Grund gewesen sein.

Es bedeutet noch längst nicht, dass der Bande jetzt der Garaus gemacht wird.
Autor: Hildegard Willer Freie Journalistin in Südamerika

Es könnte auch sein, dass Nachbarländer Druck auf Nicolás Maduro, den venezolanischen Präsidenten, ausgeübt haben. Tren de Aragua ist international tätig. In den letzten Jahren sind über sieben Millionen Venezolaner ins Ausland geflüchtet, viele von ihnen waren in kriminelle Machenschaften verwickelt. Die Bande kennt man in Nachbarländern wie Kolumbien, Ecuador oder Peru sehr gut. Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro steht Maduro nahe. Wenn er ihm etwas gesagt hat, kann dies schon eine Wirkung gehabt haben.

Ein Nachtclub, Flamingos und Wettbüros. Wie ist es möglich, dass die Bande das Gefängnis auf diese Weise genutzt hat?

Wenn man südamerikanische Gefängnisse kennt, ist dies nichts Aussergewöhnliches. Aber in diesem Ausmass ist es schon speziell. Zum Hintergrund: Venezuela ist eines der Länder mit der höchsten Kriminalitätsrate. Dies führt zu grossen Problemen in den Gefängnissen. Es gibt Gangs, die sich gegenseitig umbringen. In den letzten 20 Jahren hat sich das noch verschärft.

Zwei Polizisten sitzen auf der Ladefläche eines Lastwagens.
Legende: Mit 11'000 Soldaten haben die Behörden von Venezuela das berüchtigte Gefängis «Tocoron» übernommen. Keystone/ Ariana Cubillos

Während der Regierung von Hugo Chávez wurde ein Abkommen geschlossen und bei acht Gefängnissen die Verwaltung Gangbossen übergeben. Sie konnten dort ihr Herrschaftssystem einrichten, wenn sie im Gegenzug für Ordnung sorgten.

Was sind die Hintergründe dieser Bande?

Es wird angenommen, dass einer der Anführer, der im Tocoron-Gefängnis sass, die Bande aufgebaut hat. Mit der Übernahme des Gefängnisses haben sie viel Macht erhalten. Es wurde für sie einfacher, von einem Gefängnis aus ihre kriminellen Machenschaften zu steuern.

Was ist Tren de Aragua?

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Tren de Aragua ist eine venezolanische kriminelle Megabande, die aus dem venezolanischen Bundestaat Aragua stammt. Sie ist die grösste kriminelle Bande Südamerikas. Ihre Basis hatte sie bis zur Übernahme der venezolanischen Regierung im Tocoron-Gefängnis. Die Bande besteht aus über 2000 Mitgliedern und ist berüchtigt für Menschenhandel und Erpressung. Sie ist international bekannt und in Ländern wie Brasilien, Kolumbien, Peru, Bolivien und Chile tätig.

Die Behörden wollen nun nach diesem Grosseinsatz die geflohenen Kriminellen festnehmen. Wie realistisch ist es, dass die Bande damit zerschlagen wird?

Die Übergabe war abgesprochen. Es bedeutet noch längst nicht, dass der Bande jetzt der Garaus gemacht wird. Einerseits duldet die Regierung nicht mehr, dass sich die Kriminellen in den Gefängnissen selbst organisieren.

Die Übernahme ist eine Machtdemonstration, mit der die Regierung sagt: Wir übernehmen hier jetzt wieder das Sagen.
Autor: Hildegard Willer Freie Journalistin in Südamerika

Anderseits hat die Regierung Allianzen mit Kriminellen, beispielsweise bei illegal geführten Rohstoffabbaugebieten im Süden Venezuelas. Die Zentrale, von der aus sich die Bande in ganz Südamerika organisierte, wurde von der Regierung übernommen. Aber das heisst noch nicht, dass sie damit am Ende ist.

Ist dieser Vorgang rund um das Gefängnis repräsentativ für die Überforderung der Behörden mit der Kriminalität in Venezuela?

Man kann schon sagen, dass Venezuela überfordert war, und zwar schon seit langem. Deswegen konnten die Banden in den Gefängnissen selbst für Ordnung sorgen. Die Übernahme ist eine Machtdemonstration, mit der die Regierung sagt: Wir übernehmen hier jetzt wieder das Sagen.

Das Gespräch führte Lea Saager.

SRF 4 News, 22.09.2023 07:58;

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