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Menschenrechtler verurteilt Russland: Oleg Orlow muss wegen Kriegskritik ins Straflager

Knapp zwei Wochen nach dem Tod von Alexej Nawalny ist in Russland ein weiterer Andersdenkender verurteilt worden: Der altgediente Menschenrechtler Oleg Orlow von der Organisation Memorial muss für zweieinhalb Jahre ins Straflager, weil er den russischen Angriff auf die Ukraine kritisiert hatte.

In seinem Glaskäfig im Gerichtssaal zog es Oleg Orlow vor, in Franz Kafkas Roman «Der Prozess» zu blättern, statt der Verhandlung grosse Beachtung zu schenken. Seine Botschaft war klar: So grausam und unbegründet wie im Roman sei auch das Verfahren gegen ihn.

Lagerhaft wegen Kriegskritik

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Der bekannte Menschenrechtler Oleg Orlow ist wegen Kriegskritik in Russland zu zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Ein Gericht in Moskau befand den 70-Jährigen, der einst die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Organisation Memorial als Co-Vorsitzender mit leitete, der angeblich wiederholten «Diskreditierung» von Russlands Armee für schuldig. Auf einem von Memorial veröffentlichten Video ist zu sehen, wie Orlow nach der Urteilsverkündung noch im Gerichtssaal Handschellen angelegt wurden. Der Kremlkritiker gilt international als politisch Verfolgter. Zur Urteilsverkündung waren auch mehrere westliche Diplomaten ins Gericht des Moskauer Stadtbezirks Golowinski gekommen.

Solche Verfahren sind für Orlow nichts Neues: Er war Gründungsmitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, die sich in den 1980er-Jahren auf die Fahne schrieb, die Verbrechen des Stalinismus aufzuarbeiten.

Memorial wurde zu einer treibenden Kraft beim Niedergang des autoritären sowjetischen Systems. Nach dem Fall des Kommunismus stand die Gruppe für ein neues, offenes Russland. Orlow war kurze Zeit im Parlament tätig, später beriet er Wladimir Putin persönlich als Mitglied des Menschenrechtsrates des russischen Präsidenten.

Ich bekenne mich nicht schuldig und verstehe die Anklage nicht.
Autor: Oleg Orlow Russischer Menschenrechtler

Diese Zeiten sind vorbei. Orlow und Memorial liessen sich nie vom russischen Staat vereinnahmen und blieben kritisch. Die russische Grossinvasion der Ukraine hat Orlow scharf verurteilt, deswegen wurde ihm vorgeworfen, er habe Russlands Armee diskreditiert.

In Anlehnung an Kafka versuchte er, die Absurdität der Vorwürfe deutlich zu machen: «Ich bekenne mich nicht schuldig und verstehe die Anklage nicht», sagte er dem Gericht.

Der Menschenrechtler Oleg Orlow und seine Prinzipien sind im heutigen Russland jedoch aus der Zeit gefallen und selber gewissermassen absurd geworden.

Das Urteil gegen ihn ist mild im Vergleich zu den jahrzehntelangen Haftstrafen, die anderen Dissidenten auferlegt werden. Solche Strafen gab es zuletzt in der Stalinzeit, die Orlow und Memorial bewältigen wollten. Doch statt einer Geschichtsbewältigung missbraucht Machthaber Putin jetzt die Geschichtsschreibung, um seinen Krieg und seine Repression zu rechtfertigen.

Für einen Oleg Orlow ist daher in der russischen Gesellschaft kein Platz mehr, auch Memorial wurde schon 2021 per Gerichtsbeschluss aufgelöst.

«Haben Sie keine Angst davor, dass die Unterdrückungsmaschinerie früher oder später auch diejenigen, die sie vorangetrieben haben, überrollen wird?», fragte Orlow seine Richter rhetorisch. «Das ist in der Geschichte schon oft passiert.»

Aber in Russland scheint die Wiederholung der Geschichte längst unaufhaltbar. 

Rendez-vous, 27.2.2024, 12:30 Uhr

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