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Militärische «Operation» Benno Zogg: «Ein Krieg verläuft nie genau nach Drehbuch»

Der russische Präsident Wladimir Putin hat erneut betont, die «militärische Operation» in der Ukraine laufe nach Plan. Doch daran gibt es grosse Zweifel. Benno Zogg vom Center for Security Studies an der ETH Zürich erläutert den Zustand der russischen Armee.

Benno Zogg

Center for Security Studies, ETH Zürich

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Benno Zogg forscht am Center for Security Studies der ETH Zürich zu Sicherheitspolitik mit Fokus Osteuropa, Russland und Zentralasien.

SRF News: Schlechtes Material, schlecht organisiert und mangelhafte Motivation der russischen Armee, heisst es. Ist es plausibel, dass die russische Armee aus diesen Gründen nur so langsam vorankommt?

Benno Zogg: Wir kämpfen mit einem Phänomen, das sich «Fog of War» nennt – der Nebel des Krieges. Es ist sehr schwierig, ein genaues Bild über das zu erhalten, was genau vor Ort geschieht. Aber es ist sicher auch so, dass ein Krieg nie genau nach Drehbuch verläuft. Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass dieser Konvoi ins Stocken geraten ist und dass Teile davon zerstört wurden. Es bestehen sicherlich Probleme in der Logistik.

Ein Drittel der russischen Armee besteht aus Wehrpflichtigen. Das muss man sich auch aus Schweizer Sicht vorstellen.

Aber was man auch sagen muss: Dieser Konvoi besteht noch. Das deutet auch auf eine Schwäche der ukrainischen Armee hin. Denn diese Fahrzeuge stehen ja dort wie eine Zielscheibe und die Ukraine hat nicht die Mittel, diese Konvois anzugreifen. Deshalb entsteht ein gemischtes Bild über die Lage.

Stehen viele Soldaten zum ersten Mal überhaupt im Einsatz?

Ein Drittel der russischen Armee besteht aus Wehrpflichtigen. Das muss man sich auch aus Schweizer Sicht vorstellen. Diese Soldaten haben zum ersten Mal einen Krieg gesehen und vor allem wurden sie in einen Krieg entsandt, der ja nicht Krieg heisst. Sie waren also ein Stück weit unvorbereitet. Zudem führte Russland seit dem Krieg in Georgien 2008 keinen solchen Krieg mehr.

Wie schätzen Sie den Zustand der russischen Armee ein?

Das ist schwer zu sagen. Die Russen haben zum Teil sehr moderne Waffensysteme und haben enorm gut ausgebildete Berufssoldaten. Aber das kontrastiert mit Einheiten aus Wehrpflichtigen, die noch mit sowjetischem Material kämpfen. Es ist also eine Mischung. Und gerade in der Anfangsphase haben wir eher die moderner ausgerüsteten Einheiten gesehen, die kontrollierte Luftschläge ausüben. Aber jetzt, wenn es darum geht, «Panzer ins Rollen» zu bringen, dann ist die breite Masse der russischen Armee mit im Spiel. Das strapaziert die Versorgungslinien.

Der Westen schliesst eine Flugverbotszone weiterhin aus, welche Möglichkeiten hat er denn noch, um die Ukraine zu unterstützen?

Was vor allem die Hauptwaffe des Westens ist, sind die Waffenlieferungen an die Ukraine – solange die ukrainische Armee noch besteht. Und die Waffe Sanktionen. Da ist noch ein Stück weit Raum nach oben: Wenn Russland weiter eskaliert, dann könnte der Westen ein Embargo für Erdöl und Gas aus Russland verhängen. Dies hätte aber auch dramatische Kosten für den Westen und vor allem für Europa zur Folge.

Der Krieg wird nach und nach in die Städte getrieben. Da droht ein enorm blutiger Häuserkampf.

Was noch nicht ganz klar ist, sind mögliche Lockerungen, wenn sich die Situation deeskalieren würde. Wir sind noch weit davon entfernt, aber auch diese Strategie muss man im Hinterkopf behalten.

Der Krieg scheint sich immer mehr zu einem harten, langwierigen Abnutzungskampf zu entwickeln. Glauben Sie, man muss sich auf einen langen Krieg mit vielen Opfern einstellen?

Ich glaube, dass dies leider so sein wird. Der Trend geht dahin, dass sich die russische Armee weiter ausbreitet und die Städte in die Zange nimmt und belagert. Die ukrainische Armee wird weiter zerrieben und wir müssen uns auf zivile Opfer einstellen. Vor allem wird der Krieg nach und nach in die Städte getrieben. Dort droht ein enorm blutiger Häuserkampf. Da verschwimmen auch die Grenzen zwischen Soldaten und Zivilisten.

Das Gespräch führte Andrea Vetsch.

Tagesschau, 05.03.22, 19:30 Uhr ; 

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