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Misstrauen und Impfskepsis Russen greifen für eine vorgetäuschte Impfung tief in die Tasche

In Moskau dürfen nur noch Personen ein Restaurant besuchen, die gegen das Coronavirus geimpft sind und dies mit einem Zertifikat belegen können. Damit reagieren die Behörden auf massiv gestiegene Infektionszahlen in den letzten Tagen. Doch die Impfbereitschaft im Land ist tief. Die Folge ist laut SRF-Korrespondent David Nauer ein Schwarzmarkt für Impfzertifikate.

SRF News: Wie muss man sich diesen Schwarzmarkt vorstellen?

David Nauer: Das ganze läuft digital ab, meistens über verschlüsselte Handy-Apps. Es gibt zahlreiche Anbieter. Die Kunden schicken ihre persönlichen Daten und Geld, und nach einer Weile erhalten sie entweder ein Impfzertifikat auf Papier oder eine Impfung wird ins staatliche Register eingetragen. Eine Impfung wird also eingetragen, die gar nicht stattgefunden hat.

Weiss man, wer hinter diesen zweifelhaften Angeboten steckt?

Nein. Das ist alles hochillegal und die Leute operieren deswegen im Schatten. Aber man kann davon ausgehen, dass das Kriminelle sind, die möglicherweise sehr gut vernetzt sind, vielleicht auch mit korrupten Beamten. Anders kann man sich nicht erklären, dass solche Leute Zugriff haben auf das staatliche Register und dort nicht geimpfte Russinnen und Russen eintragen können.

Tiefe Impfrate trotz eigenem Impfstoff

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Russland hatte sehr früh einen eigenen Impfstoff: Sputnik V. Ein Impfstoff, der – nach allem, was man weiss – hochwirksam ist. Aber die Bevölkerung ist misstrauisch. Unter anderem deswegen erlebt das Land gerade eine neue grosse Infektionswelle. «Die Behörden haben lange nichts unternommen, auch keine Informationskampagne gemacht», sagt David Nauer. «Es hat mich selber erstaunt, dass derart wenig geworben wird für die Impfung.» Der Staatsapparat wäre laut dem Korrespondenten durchaus in der Lage gewesen, die Notwendigkeit der Impfung an die Leute heranzutragen. Jetzt aber scheint ein Umdenken stattzufinden. «Weil die Verantwortlichen sehen: Wenn sich die Leute nicht impfen lassen, wird Russland immer wieder neue Infektionswellen erleben. Deshalb versucht der Staat nun, mit Druck etwas zu erreichen.»

Was kostet so ein Zertifikat?

Je nach Service ist das sehr unterschiedlich. Ein Zertifikat auf Papier kostet Medienberichten zufolge umgerechnet ungefähr 25 Franken. Aber wenn jemand eine «richtige» gefälschte Impfung will, bis hin zu einem nummerierten Fläschchen Impfstoff, das extra weggeschüttet wird statt gespritzt, inklusive einem Eintrag ins staatliche Register, der muss deutlich tiefer in die Tasche greifen. Die Rede ist da von bis zu 400 Franken.

Was treibt die Leute an, so etwas zu kaufen?

Es gibt eine grosse Impfskepsis in Russland. Die Menschen sagen entweder, sie würden der Impfung nicht trauen und sie für gefährlich halten. Die anderen sagen, sie glaubten, Covid-19 sei total harmlos.

Die Leute wollen sich zum Teil immer noch nicht impfen lassen und suchen nun einen Ausweg.

Daraus entsteht dann die Haltung: Warum soll ich mich gegen eine harmlose Krankheit impfen lassen mit einem gefährlichen Impfstoff? Deswegen wollen die Leute sich nicht impfen. Aber nun greift der Staat durch. Man darf in Moskau nur noch ins Restaurant, wenn man geimpft ist. Und man darf nur noch ins Hotel am Schwarzen Meer, wenn man geimpft ist. Arbeitgeber sind zudem angehalten, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – etwa aus dem Gastgewerbe, Taxifahrerinnen, Lehrer – impfen zu lassen.

Der Staat übt also Druck auf die Bevölkerung aus?

Ja, der Druck des Staates ist in den letzten Tagen massiv gestiegen. Die Leute wollen sich aber zum Teil immer noch nicht impfen lassen und suchen nun einen Ausweg – und der führt eben über diese gefälschten Impfzertifikate. Ob der Schwarzmarkt mit diesen Zertifikaten weiter wächst, ist schwer abzuschätzen. Denn die Polizei geht natürlich schon gegen die Anbieter vor.

Viele warten jetzt einfach ab und hoffen darauf, dass die Regeln dann doch nicht so streng durchgesetzt werden.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob das ein Massenphänomen wird. Ein Teil der Russinnen und Russen will sich nämlich nun offenbar doch zähneknirschend impfen lassen. Es gibt zahlreiche Meldungen, dass es in den letzten Tagen sogar Schlangen gegeben hat vor den Impfstationen. Es ist aber auch möglich, dass viele jetzt einfach abwarten und darauf hoffen, dass die Regeln dann doch nicht so streng durchgesetzt werden – wie so oft in Russland.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

SRF 4 News, 28.06.2021, 06:20 Uhr ; 

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