- Nach der Tötung des Präsidenten Jovenel Moïse hat der haitianische Senat mit Joseph Lambert einen Übergangspräsidenten bestimmt.
- Dabei sind von 30 vorgesehenen Senatoren aktuell nur 10 im Amt – und die kleine Parlamentskammer ist eigentlich gar nicht beschlussfähig.
- Ob Joseph Lambert das Amt des Präsidenten antreten kann, ist damit fraglich.
- Die ungeklärte Machtfrage stellt das Land vor grösste Probleme. Haiti litt nämlich schon vor Moïses Tod unter Hunger, Bandengewalt und der grassierenden Corona-Pandemie.
«Ich spreche den politischen Institutionen, die mich unterstützen, meine bescheidene Dankbarkeit aus», schrieb Lambert am Freitagabend (Ortszeit) auf Twitter. Er wolle den Weg für einen demokratischen Machtwechsel ebnen. Im September sind in Haiti Präsidenten- und Parlamentswahlen geplant.
Lamberts Ernennung steht rechtlich auf wackligen Füssen. Denn der Senat – das Oberhaus des haitianischen Parlaments – kann seit Januar 2020 gar keine Beschlüsse mehr fassen. Weil eine für Oktober 2019 vorgesehene Parlamentswahl unter anderem wegen heftiger Proteste gegen Moïse ausgefallen war, gibt es nur noch 10 von 30 Senatoren, deren Amtszeiten nicht abgelaufen sind. Im Unterhaus, der Abgeordnetenkammer, sitzt niemand mehr. Acht der zehn Senatoren stimmten Medienberichten zufolge für Lambert, zwei enthielten sich.
Zuvor hatten sich am Freitag mehrere politische Akteure auf Lambert als Interims-Staatschef geeinigt. Das geht aus einem Schreiben hervor, das von Vertretern mehrerer Parteien und Bewegungen unterschrieben wurde – darunter auch der konservativen PHTK, der Moïse angehörte. Es fehlten aber auch Unterschriften einiger wichtiger Kräfte. Interims-Premierminister und damit Regierungschef soll demnach der Neurochirurg Ariel Henry werden. Diesen hatte Moïse noch am Montag für das Amt ernannt.
Gerangel um Amt des Premierministers
Henrys für Mittwoch geplante Vereidigung war nach dem Attentat aber ausgefallen. Der Aussenminister und bisherige Interims-Premierminister Claude Joseph erklärte sich zum amtierenden Interims-Regierungschef. Als solcher hielt er in den vergangenen Tagen Ansprachen an die Nation, unterzeichnete Erlasse und führte Gespräche mit Vertretern ausländischer Regierungen. In einem Interview der haitianischen Zeitung «Le Nouvelliste» sagte Henry, seiner Ansicht nach sei er Premierminister – nicht Joseph.
Der 53 Jahre alte Staatschef Moïse war in der Nacht zum Mittwoch in seiner Residenz überfallen und erschossen worden. Seine Ehefrau Martine wurde dabei schwer verletzt. Sie wird in den USA behandelt. Nach Angaben der haitianischen Polizei führten 28 ausländische Söldner den Mord aus: 26 Kolumbianer und zwei US-Amerikaner haitianischer Herkunft. Bisher wurden demnach 20 Tatverdächtige festgenommen und drei getötet. Die genauen Hintergründe der Tat sind noch unklar.