Zum Inhalt springen

Nach dem Wahltag in Serbien Vucics Gegner hoffen noch auf Belgrad

Als die Urnen um 20 Uhr hätten schliessen sollen, standen vor allem in der serbischen Hauptstadt Belgrad noch viele Menschen vor den Wahllokalen und einige mussten sich noch mehr als eine Stunde den, bis sie ihre Stimme abgeben konnten.

Die Opposition wirft der Regierung vor, sie habe mit Verzögerungstaktik kritische Wähler von den Urnen fernhalten wollen. Auch Nichtregierungsorganisationen sagen, es habe in den letzten 20 Jahren noch nie so viele Unregelmässigkeiten gegeben.

Erst gegen 23 Uhr, viel später als erwartet, trat Präsident Aleksandar Vucic mit versteinerter Miene vor die Fernsehkameras, als müsste er Tränen zurückhalten. Aber als er dann stolz verkündete, dass das serbische Volk noch nie einem Präsidenten solch grosses Vertrauen ausgesprochen habe, strahlte er auf einmal über beide Ohren.

Vucic kam auf rund 60 Prozent der Stimmen

Er gab sich zudem überzeugt, dass seine Fortschrittspartei mit den bisherigen Koalitionspartnern im Parlament auf die absolute Mehrheit kommt und weiterregieren kann. Die Wahlresultate, die Vucic persönlich verkündete, müssten eigentlich von der nationalen Wahlkommission verkündet werden.

Diese aber ging schon am frühen Abend auf Tauchstation. Anders als bei den bisherigen Wahlen will sie erst heute Montagabend eine Pressekonferenz abhalten. Die Opposition befürchtet deshalb, dass bis dahin noch an den Wahlresultaten aus Belgrad herumgedoktert wird.

Dort wurden nämlich auch der Stadtpräsident und das Stadtparlament neu gewählt. Die Opposition glaubt, dass Vucics Fortschrittspartei in Belgrad verloren hat. Sollte sich bewahrheiten, dass Vucics Leute versuchen, das Wahlresultat in der Hauptstadt umzudrehen, wird das heftige Proteste nach sich ziehen.

Unfaire Wahlen schon seit Jahren

Von fairen Wahlen kann in Serbien schon seit Jahren nicht mehr die Rede sein. Vucics Fortschrittspartei hat fast alle Medien unter Kontrolle, die Opposition kann ihre Sicht kaum noch an die Öffentlichkeit bringen. Zudem missbraucht die Fortschrittspartei staatliche Funktionen und Mittel zu Wahlkampfzwecken.

Wählerinnen und Wähler werden an ihrem Arbeitsplatz oder vor den Wahllokalen von Parteileuten Vucics unter Druck gesetzt, vor allem in ländlicheren Gebieten. Und regelmässig tauchen neue scheinbare Oppositionsparteien auf, die sich später als Marionetten Vucics herausstellen.

Die Opposition weiss, dass es unter diesen Umständen kaum noch möglich ist, Vucic bei Wahlen zu besiegen. Sie hofft aber auf einen Wahlerfolg in Belgrad. Dort kann die Fortschrittspartei ihre Kontrolle über die Gesellschaft weniger leicht ausüben und das politische Klima ist nicht so konservativ und nationalistisch.

Christoph Wüthrich

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Christoph Wüthrich ist Ausland-Redaktor bei Radio SRF und zuständig für den Westbalkan. Er hat Slawistik und Geschichte studiert.

HeuteMorgen, 04.04.2022, 06:00 Uhr

Meistgelesene Artikel