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Nach Lockerungen Corona-Welle kommt: Ansturm auf Spitäler in China

  • Nach der Lockerung der strengen Null-Covid-Strategie in China müssen viele Spitäler einen Ansturm von Infizierten bewältigen.
  • In vielen Apotheken sind Erkältungs- oder Fiebersenker sowie Schnelltests ausverkauft.
  • Zahlreiche Restaurants und Geschäfte sind geschlossen. Die Menschen trauen sich aus Angst vor einer Infektion nicht mehr vor die Tür.

Die Spitäler erlebten «den ersten Schock einer gigantischen Welle von Infektionen und einen Mangel an Gesundheitspersonal». Das schrieb das renommierte Wirtschaftsmagazin «Caixin». Kliniken seien überfüllt. Vielfach gebe es Schlangen. Patienten infizierten Ärzte und Gesundheitspersonal. Die Rede ist von einem «Covid-Chaos».

Vor Kehrtwende bereits problematisch

In einer radikalen Kehrtwende vergangenen Mittwoch hatte die Regierung ihre rigorose Null-Covid-Strategie weitgehend aufgehoben. Lockdowns wurden beendet, die strenge Testpflicht, zwangsweise Quarantäne oder Isolation von Kontaktpersonen weitgehend gelockert.

Einschätzungen des China-Korrespondenten

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SRF News: Bis zu 60 Prozent der Bevölkerung könnten sich bei einer drohenden Infektionswelle anstecken. Was würde das für China bedeuten? Samuel Emch, Schanghai: Das wäre eine massive Belastung für das Gesundheitssystem. In einer Bevölkerung, in der bis vor kurzem die Angst vor Corona geschürt wurde, muss man damit rechnen, dass viele ins Spital wollen, wenn sie sich infizieren. Die Spitalkapazitäten wurden aber nicht signifikant ausgebaut. Relevant wird auch sein, wie viele schwere Fälle es geben wird. Viele schauen heute nach Hongkong, wo im Frühling Massnahmen gelockert wurden. Dadurch wurde eine grosse Corona-Welle mit Tausenden Toten ausgelöst. Auf Festland-China gibt es nun Schätzungen, dass es bei einer grossen Infektionswelle 700’000 bis 1.5 Millionen Tote geben könnte. Dies, weil die Impfquote bei der älteren Bevölkerung tief ist. Sie ist zwar höher als damals im Frühling in Hongkong, aber Expertinnen und Experten mahnen, dass die Älteren noch nicht ausreichend geimpft sind. Nur 40 Prozent der über 80-Jährigen haben einen Booster erhalten – also einen effektiven Schutz durch die Impfung. Zwar forcieren die Behörden jetzt die Impfkampagne. Diese aber gleichzeitig mit den Lockerungen zu forcieren, ist reichlich spät.

Spitäler werden überrannt. Medien berichten von einem «Covid-Chaos». Was bekommen Sie davon mit? Man merkt, dass die lokalen Behörden von diesen Lockerungen überrascht wurden. Sie kamen ohne grosse Vorbereitungen. Die lokalen Behörden müssen die Vorgaben aus Peking umsetzen. Wie genau sie umgesetzt werden sollen, ist interpretativ und unklar. Das habe ich selbst miterlebt. Ich wurde wegen eines Covid-Falls in einer Schulklasse in Isolation geschickt. Die ganze Schule wurde während fünf Tagen geschlossen. Von mehreren Behörden habe ich unterschiedliche Informationen erhalten. So hat mich die eine Behörde nach zwei Tagen aus der Isolation entlassen, während die andere einen Überwachungssensor an der Wohnungstür montiert hat, damit ich gerade nicht aus dem Haus gehen kann.

Es gibt Berichte, wonach grundlegendste Medikamente wie Entzündungshemmer fehlen. Können Sie das bestätigen? Ich war heute Morgen in zahlreichen Apotheken in Schanghai. Nirgends gab es Fiebersenker, einfache Schmerzmittel oder Selbsttests zu kaufen. Medikamente gäbe es erst wieder am Mittwoch, sagten Apothekerinnen und Apotheker. Die Hersteller hätten eigenen Angaben zufolge bereits vor Monaten begonnen, die Produktion hochzufahren. Derzeit fragt man sich also, wo die Medikamente derzeit sind.

In China wird um den Jahreswechsel traditionell viel gereist. Jetzt gelockert zu haben, heisst auch, dass sich das Virus im Land schnell verbreitet. Wie durchdacht war dieser Lockerungsschritt? Zwischen dem Parteikongress im Oktober und heute hat sich das Narrativ überraschend deutlich geändert. Dass China seine Massnahmen gelockert hatte, obwohl die Spitalkapazitäten in den letzten Monaten nicht signifikant erhöht wurden, hinterlässt doch einen Eindruck einer hastigen Abkehr der Null-Covid-Politik. Hinzu kommt die Impfquote, die insbesondere bei den Alten weiterhin sehr tief ist.

Es scheint, als hätten die schlechtere Wirtschaftslage und die massiven Proteste die Regierung zum Umdenken gezwungen. Verschliesst sich die chinesische Regierung also nicht vor Signalen ausserhalb der kommunistischen Regierungspartei? Der wirtschaftliche Druck war sicher gross. Die Null-Covid-Politik hatte enorme wirtschaftliche Einbussen zur Folge: Menschen, die im Lockdown kein Einkommen mehr hatten, eine gedrückte Konsumentenstimmung, die zahlreichen Proteste und steigende Fallzahlen trotz Null-Covid-Politik: Das alles dürfte zur Abkehr der Null-Covid-Politik geführt haben.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Schon vorher hatte es allerdings Anzeichen gegeben, dass die Zahl der Infizierten anstieg und die Tests und Nachverfolgung der Infektionen längst nicht mehr mithalten konnten.

Peking wirkt wie leergefegt

Viele Geschäfte und Restaurants sind geschlossen. Menschen trauen sich aus Angst vor Infektionen nicht vor die Tür. Die Strassen der Hauptstadt Peking wirkten wie leer gefegt.

Mann spaziert in einem öffentlichen Park. Die Sitzbänke sind leer. Er scheint der einzige Mensch in diesem Park zu sein.
Legende: Normalerweise ist dieser öffentliche Park in Peking überfüllt. Keystone/AP/Andy Wong

Nachdem in den vergangenen Monaten immer vor Omikron gewarnt worden war, spielten Staatsmedien die Gefährlichkeit des Virus herunter und verglichen die Infektion mit einer normalen Grippe.

Ich kenne allein 25 positive Fälle oder Erkrankte.
Frau aus Peking

Führende Epidemiologen sagten nach Angaben der parteinahen Zeitung «Global Times», dass die Infektionswelle innerhalb von einem Monat den Höhepunkt erreichen werde. Da nicht mehr getestet und wohl auch kaum noch gemeldet wird, spiegeln die offiziellen Fallzahlen längst nicht mehr das Geschehen wider.

Die Krankmeldungen in Unternehmen stiegen in die Höhe. «Ich kenne allein 25 positive Fälle oder Erkrankte in meinem Umfeld», schilderte eine Pekingerin. Ein anderer schätzte, dass ein Drittel seiner Bekannten krank sei.

Rendez-vous, 12.12.2022, 12:30 Uhr ; 

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