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Minister-Rücktritte bringen Boris Johnson in Bedrängnis
Aus 10 vor 10 vom 05.07.2022.
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Nach Rücktritten aus Protest Johnson hat die vakanten Ministerposten bereits neu besetzt

  • Begleitet von scharfer Kritik an Premierminister Boris Johnson haben Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid ihre Ämter niedergelegt.
  • Bereits wenige Stunden nach den beiden Rücktritten hat Johnson die Posten neu besetzt.
  • Mittlerweile sind weitere Mitglieder aus Johnsons Kabinett zurückgetreten: der Familienminister und der für Schulen zuständige Minister.
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Archiv: Boris Johnson übersteht Misstrauensvotum
Aus Tagesschau vom 07.06.2022.
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Das Finanzressort geht an den bisherigen Bildungsminister Nadhim Zahawi, Gesundheitsminister wird der vorherige Stabschef des Premierministers, Steve Barclay. In ihren Rücktrittsschreiben stellten die beiden Minister infrage, ob Johnson in der Lage sei, eine Regierung zu führen, die sich an gewisse Standards halte. Direkter Anlass für das politische Erdbeben in Grossbritannien ist Johnsons Verhalten im jüngsten Skandal um sexuelle Belästigung durch ein führendes Fraktionsmitglied seiner Konservativen Partei.

Darum geht es im jüngsten Skandal

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Im Zentrum des jüngsten Skandals steht der von Johnson mit dem Posten des sogenannten Vize-Whips beauftragte Abgeordnete Chris Pincher. Dieser war in der vergangenen Woche zurückgetreten, nachdem Medien berichtet hatten, er habe zwei Männer in einem exklusiven Club in London im betrunkenen Zustand begrapscht. Inzwischen wurde auch seine Mitgliedschaft in der Fraktion ausgesetzt.

Der Premierminister entschuldigte sich am Dienstagabend und sagte, die Berufung von Chris Pincher zum Vize-Whip sei ein Fehler gewesen. Er habe in dem Fall aber nicht gelogen, betonte Johnson in der BBC.

Zuvor hatte Johnsons Sprecher eingeräumt, dass der Premierminister bereits 2019 über Anschuldigungen gegen seinen konservativen Parteifreund Chris Pincher informiert worden sei. Bisher hatte es geheissen, Johnson seien keine konkreten Vorwürfe bewusst gewesen.

«Mir ist klar, dass sich diese Situation unter Ihrer Führung nicht ändern wird», schrieb Gesundheitsminister Sajid Javid in seinem Rücktrittsschreiben. Finanzminister Rishi Sunak betonte, er sei immer loyal zu Johnson gewesen. «Aber die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass die Regierung richtig, kompetent und ernsthaft handelt.»

Ebenfalls zurückgetreten sind inzwischen Familienminister Will Quince und der für Schulen zuständige Minister of State for School Standards, Robin Walker. Zwar versicherten umgehend zahlreiche andere Regierungsmitglieder wie Vizepremier und Justizminister Dominic Raab oder Aussenministerin Liz Truss dem Premierminister ihre Unterstützung. Zudem gilt Johnson als «Stehaufmännchen», denn er hat mehrere Skandale überlebt. Aber die Stimmung innerhalb seiner Konservativen Partei ist am Boden. Der Premier müsse zurücktreten, sagte ein Kabinettsmitglied dem Sender Sky News.

«Diese Regierung bricht zusammen»

Oppositionsführer Keir Starmer von der Labour-Partei erklärte in einer ersten Reaktion, die Regierung löse sich auf. «Nach dem ganzen Schmutz, den Skandalen und dem Versagen ist klar, dass diese Regierung jetzt zusammenbricht.» Er würde vorgezogene Wahlen unterstützten, erklärte Starmer später.

Der Oppositionsführer rief weitere Kabinettsmitglieder auf, mit einem Rücktritt ein Zeichen gegen den «pathologischen Lügner» Johnson zu setzen.

Insidern zufolge will Boris Johnson Insidern im Amt bleiben. Zwei dem Premier nahestehende Personen erklärten am Dienstagabend, Johnson werde um seinen Posten kämpfen.

Die Regierungskrise kommt zur Unzeit. Grossbritannien kämpft angesichts der immens gestiegenen Lebenshaltungskosten mit einer historischen Krise. Die Inflation ist so hoch wie seit rund 40 Jahren nicht mehr.

Einschätzung von SRF-Korrespondent Patrik Wülser

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Chronisches Chaos ist ja gewissermassen zum Grundrauschen der Regierung Johnson geworden, aber der Rücktritt dieser beiden hochrangigen Minister ist doch eine neue Eskalationsstufe. Rishi Sunak ist nicht irgendein Minister, sondern der Schatzkanzler, der Finanzminister. Das Sprengpotenzial kann zur Stunde niemand beurteilen – aber auf jeden Fall ist Boris Johnson mit einer hochexplosiven Situation konfrontiert.

Johnson befindet sich im Überlebensmodus. Dies ist am Morgen auch der Tenor in den britischen Zeitungen. Man muss zwar fairerweise anfügen, dass einige prominente Minister bereits gestern umgehend öffentlich ihre Loyalität zu PM Johnson kundgetan haben. Das Kabinett ist noch nicht auseinandergebrochen. Johnson liess über Berater verlauten, er werde nicht zurücktreten. In zehn Tagen beginnen die Parlamentsferien. Vielleicht versucht er sich bis dorthin durchzuhangeln, um dann Zeit zu gewinnen. Aber selbstverständlich fordern viele den Rücktritt – insbesondere die Opposition fordert Neuwahlen.

Dieser Premierminister funktioniert bekanntlich nach eigenen Gesetzmässigkeiten. Einige sagen, der Mann hat wie eine Katze sieben Leben und erholt sich von jedem Tiefschlag. Doch die Geduld der Konservativen Partei geht hörbar zu Ende. Johnson, der charismatische Wahlsieger, wird zum Reputationsschaden. Johnson hat jegliche Glaubwürdigkeit verloren, also das wichtigste Kapital einer Regierung. Wie angeschlagen Johnson ist, wird man am Mittwoch sehen. Im Rahmen der wöchentlichen Fragestunde wird er sich dem Parlament stellen müssen. Zufälligerweise auch der Geschäftsprüfungskommission. Es ist absehbar, dass Johnson öffentlich grilliert wird.

Für Mittwoch ist ein Auftritt Johnsons im Parlamentsausschuss geplant. Die traditionelle Befragung vor dem sogenannten Liaison Committee im Unterhaus ist einer der Höhepunkte des Jahres im britischen Parlament. Bei keiner anderen Gelegenheit hat der Regierungschef so wenig Möglichkeiten, unangenehmen Fragen auszuweichen. Das Ereignis wird daher auch als «grilling» bezeichnet.

Ebenfalls am Mittwoch wird die Regierung die Sozialversicherung für Millionen Menschen mit kleineren Einkommen senken. Johnson hoffte damit auf einen Befreiungsschlag. Zudem hatte der Premier soeben erst einen Skandal und ein Misstrauensvotum überstanden, bei dem ihn viele Beobachter schon am Ende gesehen hatten: die «Partygate»-Affäre um illegale Lockdown-Feiern am Regierungssitz in der Downing Street.

Johnsons «Partygate»-Affäre

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Wegen der Teilnahme an einer der Partys hatte der Premier persönlich eine Geldstrafe zahlen müssen. Er blieb entgegen der Erwartungen von innerparteilichen Kritikern dennoch im Amt. Dabei half ihm nach Ansicht von Experten auch sein deutliches Eintreten für die Ukraine im Krieg gegen Russland. Nach den Parteiregeln darf es nun ein Jahr lang nicht zu einer weiteren Abstimmung kommen.

SRF 4 News, 05.07.22, 20:00 Uhr;

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