«Wenn Du weiter an die Wunde denkst, leidest Du weiter. Wenn Du die Lektion lernst, wächst Du weiter.» So steht es auf Spanisch mit Kreide auf Schiefer geschrieben in der Bar «Casa Kiko» in La Laguna, nicht weit vom Lavastrom entfernt. Die Arbeiter, die an diesem Morgen ihren Kaffee trinken, achten vermutlich gar nicht mehr auf das, was da an der Wand hängt.
Es ist nicht einfach, die Wunde zu vergessen, wenn der Vulkan nicht nur das Haus, sondern auch die eigene Vergangenheit teils 70 Meter tief unter der Lava begraben hat – unwiederbringlich für immer. Und doch machen sie weiter, geben nicht auf.
Der «Engel von La Palma»
Eduardo zum Beispiel. Er kam vor 19 Jahren nach La Palma. Als ihm der Vulkan Tagojaite sein Heim nahm, überlegte er, mit seiner Familie zurück nach Teneriffa zu ziehen. Doch er blieb und jetzt baut er sich ein neues Heim. Möglich gemacht hat das Roger Frey. Der Schweizer lebt seit X Jahren auf der Insel. Er verkaufte zwei Familien Grundstücke, auf denen sie nun bauen. Eduardo nennt den Schweizer «einen Engel», auch weil er den Boden günstig verkaufte.
Augenscheinlich geht es auch sonst voran. In einem Kraftakt schlugen Anfang Jahr Bauarbeiter eine Schneise durch die Lavafelder. Sie haben den Südteil wieder mit dem Nordteil verbunden. Die Lava war anfangs noch so heiss, dass Gefahr für Mensch und Maschine bestand. Deshalb wählten die Ingenieure den Weg durch die kühlsten Bereiche – nach vier Monaten war die Verbindung fertig. Jetzt wird aus dem Provisorium eine richtige Strasse, allerdings ohne Asphalt, denn er könnte noch schmelzen. «Mortero romano» heisst die alternative Mischung aus Vulkansche, Kalk und Salzwasser. Die Römer sollen daraus schon widerstandsfähige Oberflächen gemacht haben.
«Mehr als sieben Kilometer Strassen und Zuwege haben wir in der Lava angelegt», berichtet der zuständige Minister der Inselregierung, Borja Perdomo. Und gleichzeitig gibt er zu, dass noch viel zu machen ist. Die Holzhäuser für die vielen Familien, die noch immer in Hotels oder bei Bekannten und Verwandten wohnen, kommen nur tröpfchenweise. Auch die Opfer des Vulkans leiden unter der allgemeinen Materialknappheit.
Der Vulkan hat auch gegeben
Ein anderes Problem: 4000 Betten stehen im Touristen-Zentrum Puerto Naos leer, weil die hohen Kohlendioxid-Werte den Zugang aus Behördensicht nicht zulassen. Betroffen davon ist auch Roger Frey. Er hat dort seine Flugschule für Paraglider. In wenigen Wochen würden die ersten Schweizer und Deutschen kommen. Doch sowohl der Luftraum, als auch die Landefläche in Puerto Naos sind noch nicht freigegeben. «Ich fürchte, dass auch diese Saison verloren geht», sagt der Berner. Er lebt weiterhin von seinen Ersparnissen. Jetzt – ein Jahr nach dem Ausbruch – überlegt die Inselregierung, wie sie den Betroffenen helfen kann – vor allem denen, die eigentlich in Puerto Naos wohnen.
Der Vulkan hat viel genommen und es wird lange dauern, bis auf der Westseite La Palmas wieder Ruhe einkehrt. Doch der Vulkan hat auch gegeben. Die Insel mit ihren 60'000 Einwohnern ist plötzlich bekannt. Und die Touristen, die kommen, wollen genau ihn, den Vulkan sehen. Tagojaite, wie er jetzt von den Einheimischen genannt wird, ist ein Magnet. Ausgebucht, meldeten die Hoteliers deshalb in diesem Sommer. Allerdings hatten sie auch 5000 Betten weniger als vor einem Jahr. Die 4000 im Sperrgebiet von Puerto Naos und rund 1000 Betten, die für immer unter der Lava begraben sind.