An seinem ersten Nato-Treffen als US-Aussenminister hat Anthony Blinken in Brüssel die Arbeit der transatlantischen Verteidigungsallianz gelobt, seinen Amtskollegen Engagement und Bündnistreue in Aussicht gestellt – aber auch gleich eine lange Liste mit Erwartungen vorgetragen.
Zum Beispiel in Sachen Nord Stream 2. Die beinahe fertiggestellte Pipeline, die bald schon russisches Erdgas nach Deutschland transportieren soll, sei eine «schlechte Idee», befand Blinken, der oberste US-Diplomat, ganz undiplomatisch. Mehr noch: Die Pipeline sei nicht einmal im Interesse Deutschlands. Die USA würden weitere Sanktionen gegen Nord Stream 2 in Betracht ziehen.
Die USA betonen ihren Führungsanspruch
Die Botschaft ist klar: Mit dem neuen Präsidenten Joe Biden und seiner Regierung soll die Nato wieder werden, was sie für die USA jahrzehntelang gewesen war – ein zentraler Baustein der Aussenpolitik, das wichtigste Verteidigungsbündnis. Aber auch eine Organisation, in der die USA den Ton angeben. Die USA umarmen ihre Verbündeten wieder, aber die Umarmung tut bisweilen auch weh.
Die Zweifel an der Bedeutung der Nato, die bereits unter Ex-US-Präsident Barack Obama leise und dann lautstark von Donald Trump gesät worden waren: Sie sind vorerst Geschichte. Die Nato-Partner der USA – Kanada und 28 europäische Länder – sollen sich im Konfliktfall ohne Wenn und Aber auf das Bündnis verlassen können. Sie sollen in wichtigen Fragen frühzeitig informiert und angehört werden, die USA aber bitteschön auch als Führungsmacht anerkennen.
Damit verschwinden alte Konflikte freilich nicht, und neue sind programmiert. Denn die Nato ist mit ihren 30 Mitgliedern unübersichtlich geworden. Wo man hinsieht, tun sich Gräben auf. Für Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist Russland nach wie vor die Hauptbedrohung – und damit Daseinsberechtigung des Bündnisses. Trotzdem will Deutschland mit Nord Stream 2 mehr russisches Erdgas kaufen, und die Türkei hat im grossen Stil russische Waffen bestellt.
Nato sucht nach Neuausrichtung
Überhaupt sorgt die Türkei innerhalb der Nato immer wieder für heftige Konflikte. Im vergangenen Jahr drohte gar eine militärische Auseinandersetzung mit den Bündnispartnern Frankreich und Griechenland. Für die alte neue Führungsmacht USA gibt es viel zu kitten. Zumal Blinken heute über die Beistandspflicht hinaus die gemeinsamen Werte der Nato-Staaten betonte.
Bis Ende Jahr wollen die Staats- und Regierungschefs eine neue Strategie, «Nato 2030», ausarbeiten. Geht es nach dem Willen der USA, soll sich die Nato künftig mehr um China kümmern. Das transatlantische Bündnis mit den USA in einer transpazifischen Rivalität mit China: Nicht alle Nato-Staaten werden über diese Neuausrichtung erfreut sein.