Der deutsche Bundesnachrichtendienst ist in der Regel eher zurückhaltend. Doch just vor dem Nato-Verteidigungsministertreffen wählte der neue BND-Präsident Martin Jäger markige Worte: «Wir dürfen uns nicht zurücklehnen in der Annahme, ein möglicher russischer Angriff käme frühestens 2029. Wir stehen schon heute im Feuer.»
Aus Sicht von Nato-Generalsekretär Mark Rutte kann die Allianz dieser russischen Herausforderung trotzen. Doch in Wirklichkeit ist der europäische Teil des Bündnisses noch längst nicht dort, wo man sein möchte und sein müsste.
Zum einen lassen sich über Jahrzehnte entstandene Verteidigungslücken nicht über Nacht schliessen. So wird etwa bei der nuklearen Abschreckung die Abhängigkeit von den USA noch Jahrzehnte andauern. Zum anderen sind manche Nato-Länder zwar willens, mehr zu leisten, ihnen fehlen aber die finanziellen Mittel, so beispielsweise im Fall von Frankreich. Schliesslich gibt es auch Länder wie Ungarn, die Slowakei oder die Türkei, welche die Nato-Kooperation eher untergraben als fördern.
Zu komplizierte Entscheidungsprozesse
Je genauer man hinsieht, umso schärfer sind die Probleme zu erkennen. Etwa bei der Drohnenabwehr: Teure Kampfflugzeuge sind nicht das richtige Mittel, um Billigdrohnen abzuschiessen. Selbst Rutte räumt ein, da müsse man von den Ukrainern einiges lernen. Noch ist die Nato weit entfernt von einer flächendeckenden, je nach Situation anpassbaren Drohnenabwehr. Es fehlt generell auch an Tempo: militärisch, politisch und finanziell. Die Entscheidungsprozesse sind zu kompliziert.
Auffallend ist ebenfalls, welche Minister sich öffentlich gar nicht äussern: unter ihnen der spanische, der italienische oder der ungarische. Also Vertreter von Staaten, die derzeit kaum zur Stärkung der Nato beitragen – und das teils auch gar nicht vorhaben.
Natürlich sind massive Erhöhungen der Verteidigungsetats schwierig. «Budgetdebatten gleichen oft einem Blutbad», sagt Litauens Verteidigungsministerin Dovile Sakaliene. «Aber wir brauchen die Investitionen eben nicht in 10 oder 15 Jahren, sondern sofort.» Deutlich mahnen nun jene, die bereits handeln.
Europa hängt am US-Rockzipfel
Wenn also John Healey, Grossbritanniens Verteidigungsminister, Wladimir Putin warnt, «die Nato wird handeln, wann immer nötig», klingt das reichlich vollmundig. Denn Putin sieht vor allem, dass der Westen Angst vor jeder Eskalation hat, während Russland dazu bereit ist. Eine von der US-Regierung zunehmend im Stich gelassene Nato schüchtert den Kreml nicht ernsthaft ein.
Umso weniger als US-Verteidigungsminister Pete Hegseth auf dem Nato-Treffen – anders als alle früheren Pentagon-Chefs – nicht als Anführer auftrat, sondern eher wie ein Handelsreisender: «Die europäischen Länder sollen US-Waffen kaufen und sie an die Ukraine liefern. Und zwar mehr und mehr.» So definiert Washington neuerdings seine Rolle. Die Nato schluckt das. Sie hat keine Wahl.
Sie spricht unterwürfig sogar vom US-Kriegsministerium und von Hegseth als Kriegsminister – obschon sie offiziell (zumindest noch) nicht so heissen. Aber sie tut es, weil Trump das so möchte. Auch das zeigt: Europa hängt punkto Sicherheit am amerikanischen Rockzipfel – und wagt es nicht, loszulassen.