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Nawalny darf nach Berlin Russland-Korrespondent: «Das war eine Entscheidung von ganz oben»

Omsk in Sibirien ist der Schauplatz einer dramatischen Geschichte, bei der es ums Überleben des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny geht. Dieser wurde am Donnerstag plötzlich krank und in ein Spital eingeliefert. Seither liegt er im künstlichen Koma. Der 44-Jährige gilt als scharfer Putin-Kritiker.

Seine Anhänger befürchten, er sei nicht krank, sondern vergiftet worden. Am Morgen waren deutsche Ärzte in Omsk gelandet, um Nawalny zur Behandlung nach Berlin auszufliegen. Doch die russischen Ärzte untersagten dies. Nawalny sei nicht transportfähig, so die Begründung. Nun aber die überraschende Wende: Sie lassen ihn gehen. SRF-Korrespondent David Nauer in Moskau macht den starken öffentlichen Druck dafür verantwortlich.

SRF News: Was weiss man im Moment über die Situation im Omsk?

David Nauer: Ein russischer Aktivist, der den deutschen Flug massgeblich mitorganisiert hat, schrieb, dass Nawalny nach Deutschland fliegen darf. Inzwischen haben dies auch die Ärzte des Osmker Spitals bestätigt, sie hätten nichts mehr dagegen, wenn Nawalny nach Berlin gebracht werde.

Was sind die Gründe für diese Kehrtwende?

Das ist schwer zu sagen, zumal die Ärzte sich wirklich den ganzen Tag eisern geweigert hatten, ihn gehen zu lassen. Es waren sogar Geheimdienstler im Einsatz, die mit Gewalt verhinderten, dass Nawalnys Freunde und Familie mit den deutschen Ärzten, die bereits dort sind, reden durften. Man hat sehr viel Druck gespürt. Und jetzt plötzlich diese doch sehr spektakuläre Kehrtwende.

Daraufhin hat wohl jemand im Kreml gesagt: Okay, lassen wir ihn gehen.

Ich habe nur eine Erklärung dafür: Das muss eine politische Entscheidung von ganz oben aus dem Kreml sein, wohl weil man einen Imageschaden befürchtete. Seine Anhänger haben immensen öffentlichen Druck ausgeübt. Daraufhin hat wohl jemand im Kreml gesagt: Okay, lassen wir ihn gehen.

Die russischen Ärzte informierten über die Diagnose. Was sagten sie?

Der Spitalleiter sagte, Nawalny sei nicht vergiftet worden. Er leide vielmehr an einer Stoffwechselstörung und habe zudem noch einen plötzlichen Abfall des Blutzuckerspiegels erlitten. Das ist die offizielle Version im Moment.

Ist das glaubwürdig?

Ich bin nicht Arzt und kann es nicht beurteilen, aber die kritische russische Öffentlichkeit glaubt diesen Ärzten aus Omsk kein Wort. Sehr viele hier in Russland sind überzeugt, dass Nawalny vergiftet wurde. Und ich muss sagen: Auch ich habe gewisse Zweifel an dieser Geschichte mit dem Stoffwechsel.

Das Ganze wirkt wie eine orchestrierte Desinformationskampagne.

Dies, weil eben parallel aus offiziellen und halboffiziellen Quellen noch viele weitere Versionen verbreitet werden. Da ist die Rede von irgendwelchen Chemikalien, aber auch davon, Nawalny habe einfach zu viel selbstgebrannten Schnaps getrunken. Das Ganze wirkt wie eine orchestrierte Desinformationskampagne, um davon abzulenken, was am wahrscheinlichsten ist, nämlich, dass Nawalny tatsächlich vergiftet wurde.

Wie geht es jetzt weiter?

Nawalny soll in Berlin untersucht werden. Dann wird man sehen, ob Ärzte die mutmassliche Vergiftung nachweisen können oder nicht. Was jetzt schon feststeht, ist, dass die politischen Folgen immens sind. Denn man hat gesehen, dass es ein totales Misstrauen gibt gegenüber der Staatsmacht, dass sehr viele Leute überzeugt sind, dass hohe Kreise Nawalny vergiftet haben, also einen politischen Mordversuch begangen haben.

Der Staat seinerseits hat sehr hart reagiert mit Propaganda, mit Geheimdienstlern im Einsatz. Aber nun hat er doch nachgegeben. Es ist alles ziemlich atemberaubend, und es ist einiges in Bewegung in Russland.

Das Gespräch führte Beat Soltermann.

Echo der Zeit, 21.08.20, 18:00 Uhr ; 

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