Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer ist nach Moskau zu Kremlchef Wladimir Putin gereist. Es ist der erste hohe Besuch aus einem EU-Land, seit Russland Ende Februar die Ukraine angegriffen hat. Beobachter befürchteten, Nehammer könnte von Putin vorgeführt werden; die russische Seite könnte das Treffen propagandistisch ausschlachten.
Für SRF-Auslandredaktor David Nauer ist klar: Letztlich muss der Westen mit Putin sprechen. Ob der österreichische Bundeskanzler dafür die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt ist, bezweifelt er aber.
SRF News: Für Putin war der erste Besuch eines westlichen Spitzenpolitikers seit Ausbruch des Kriegs ein PR-Erfolg. Für Nehammer bleibt das fraglich. Viel erreicht hat er offensichtlich nicht, aber das war wohl nicht anders zu erwarten?
Schon vor Kriegsausbruch haben viele westliche Politiker mit Putin gesprochen. Putin hat trotzdem angegriffen. Man hat den Eindruck, dass sich Putin in Gesprächen nicht zu einem generellen Kurswechsel bringen lässt. Mit anderen Worten: Wenn Putin Krieg führen will, dann führt er Krieg – egal, wie viele westliche Politiker bei ihm vorsprechen.
Ist dem Treffen trotzdem etwas Positives abzugewinnen?
Realpolitisch ist es wohl so, dass der Westen früher oder später mit Putin reden muss. Russland ist ein wichtiges Land, das auch über ein erhebliches militärisches Potenzial verfügt.
Ignorieren kann man Russland nicht. Deswegen kann es durchaus sinnvoll sein, Möglichkeiten eines solchen Dialogs auszuloten.
Ich glaube nicht, dass das kleine Österreich, das zudem noch von russischem Gas abhängig ist, den Kremlchef zu massgeblichen Zugeständnissen bewegen kann.
Die Frage ist, wer mit Putin redet, also wer aus der westlichen Welt; und auch aus was für einer Position man solche Gespräche führt – aus einer Position der Stärke, der militärischen und wirtschaftlichen Stärke, oder eher aus einer Position, aus der man als Juniorpartner daherkommt.
Österreich sieht sich als neutrales Land, hat bislang keine Waffen in die Ukraine geschickt. Wie ernst nimmt Putin Österreich überhaupt?
Putin werden enge Verbindungen nach Österreich nachgesagt. Er soll früher öfter in Österreich Skiferien gemacht haben. Legendär ist auch, wie die ehemalige Aussenministerin Karin Kneissl Putin an ihre Hochzeit eingeladen hat und mit ihm ein Tänzchen absolvierte. Es gibt also enge persönliche Verknüpfungen nach Österreich.
Aber wenn es um Geopolitik geht, um Krieg und Frieden, lässt sich Putin nicht von romantischen Erinnerungen leiten; dann macht er knallhart Machtpolitik. Ich glaube nicht, dass das kleine Österreich, das zudem von russischem Gas abhängig ist, den Kremlchef zu massgeblichen Zugeständnissen bewegen kann.
Russland hat sich im Krieg aus der Region um Kiew zurückgezogen, startet nun aber zum Grossangriff auf den Osten der Ukraine. Hat Russland derzeit überhaupt ein Interesse an irgendeiner Vermittlung?
Im Moment glaube ich nicht. Der Kreml hat bisher kaum relevante Kriegsziele erreicht. Es gibt also keinen Grund anzunehmen, dass Putin nun plötzlich ernsthaft interessiert an einem Friedensschluss wäre.
Das ist wohl erst der Fall, wenn entweder die Russen militärisch ausgelaugt sind und verhandeln müssen, oder im Gegenteil, wenn sie in der Ukraine erobert haben, was sie erobern wollen.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.