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Netanjahu bleibt Parteichef «Der Schuss könnte nach hinten losgehen»

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bleibt Chef der rechtskonservativen Likud-Partei. Das Resultat ist bemerkenswert. Einerseits, weil Netanjahu unter Korruptionsanklage steht. Andererseits, weil ihm die Regierungsbildung in den vergangenen Monaten zweimal nicht gelungen ist. Die politische Krise in Israel könnte sich damit weiter verschärfen, prognostiziert NZZ-Korrespondentin Inga Rogg.

Inga Rogg

Journalistin

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Inga Rogg ist freie Journalistin in Jerusalem. Sie berichtete zunächst für die NZZ von 2003 bis 2012 aus Bagdad, dann bis 2019 aus Istanbul. Von 2019 bis 2023 war sie NZZ-Korrespondentin in Jerusalem. Seit Sommer 2023 arbeitet sie als freie Journalistin.

SRF News: Warum hat Netanjahu die Wahl mit über 70 Prozent der Stimmen gewonnen?

Inga Rogg: Er hat all seine Qualitäten ausgespielt: Netanjahu ist ein unschlagbarer Wahlkämpfer, er kann emotionalisieren und Menschen bewegen. Das war ausschlaggebend.

Warum hält seine Partei weiter zu ihm – trotz Korruptionsvorwürfen und dem Scheitern bei der Regierungsbildung?

Netanjahu stellt die Korruptionsvorwürfe gegen ihn als eine Verschwörung der Justiz und der gegen ihn gerichteten Medien dar. Das kam offensichtlich bei grossen Teilen der Likud-Mitglieder an. Netanjahu präsentiert sich als Mann, der Wahlen gewinnen kann.

Man vertraut Netanjahu, dass er bei den anstehenden Wahlen erfolgreich sein wird.

Er holt ja auch regelmässig die meisten Stimmen mit für den Likud – auch wenn er keine Regierung bilden kann. Deshalb hält die Partei auch weiter zu ihm. Man vertraut Netanjahu, dass er bei den anstehenden Wahlen erfolgreich sein wird.

Was bedeutet diese parteiinterne Wahl für die kommenden Parlamentswahlen?

Der Schuss könnte nach hinten losgehen. Netanjahu könnte zur Hypothek für die Partei werden. Viele Israeli wollen keinen Ministerpräsidenten, der wegen Korruption angeklagt ist. Das könnte ihm Stimmen kosten, auf den Fall würde es ihm die Regierungsbildung erschweren.

Seit 2005 wieder an der Parteispitze

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  • Seit Jahrzehnten gibt Netanjahu in der Likud-Partei den Ton an.
  • Schon zwischen 1993 und 1999 war er Parteivorsitzender, die letzten drei Jahre davon auch Regierungschef.
  • Nach seiner Wahlniederlage 1999 trat Netanjahu als Parteichef zurück, sein Nachfolger wurde damals Ariel Scharon. 2005 schied Scharon dann aus dem Likud aus, um die Kadima-Partei zu gründen.
  • Seitdem ist Netanjahu durchgängig Likud-Parteivorsitzender.

Ändert Netanjahus parteiinterner Sieg etwas an der politischen Krise in Israel?

Vermutlich nicht. Der Generalstaatsanwalt wird allerdings noch entscheiden, ob ein Angeklagter für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren darf. Das könnte eine Vorentscheidung für die Wahlen bedeuten. Es sieht aber nach allen Umfragen und Prognosen so aus, dass die Wahlen ähnlich ausgehen werden wie die letzten beiden Male.

Netanjahu und Sa'ar
Legende: Netanjahu (links) setzte sich mit 72.5 Prozent der Stimmen gegen seinen parteiinternen Rivalen Gideon Sa'ar durch. Reuters

Sprich: Wer immer am meisten Stimmen holt, wird Koalitionspartner brauchen. Sollte Netanjahu mit Likud gewinnen, dürfte er darauf bestehen, dass er Immunität bekommt. Und er dürfte noch weniger bereit sein, sich mit einem möglichen Koalitionspartner auf eine Rotationslösung zu einigen. Die politische Krise könnte sich also weiter verschärfen.

Das Gespräch führte Joël Hafner.

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