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Nach Carlsens Betrugsvorwurf: Untersuchungsbericht belastet US-Schachmeister
Aus Echo der Zeit vom 05.10.2022. Bild: Carina Johansen/NTB Stavanger Norge/Imago
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Neue Betrugsvorwürfe Schachtalent Hans Niemann: Wenn der Algorithmus Alarm schlägt

Der umstrittene Grossmeister soll in über 100 Online-Partien betrogen haben. Schachmeister Richard Forster äussert sich zu den Vorwürfen.

Seit gut einem Monat ist die Schachwelt in Aufruhr:  Schlüsselfiguren sind der amtierende Schachweltmeister, der 31-jährige Magnus Carlsen, und ein aufstrebendes Jungtalent, der erst 19-jährige US-Amerikaner und Grossmeister Hans Niemann.

Carlsen bezichtigt Niemann des Betrugs. Vor zwei Wochen brach er deswegen sogar eine Partie gegen seinen Herausforderer ab – nach dem ersten Zug.

Magnus Carlsen bei einem Turnier in den Niederlanden
Legende: Carlsen wirft seinem US-Kontrahenten Betrug vor: «Ich glaube, dass Niemann – auch in letzter Zeit – mehr betrogen hat, als er öffentlich zugegeben hat.» Keystone/EPA/Koen van Weel

Unterstützung erhält der Weltmeister von einer Untersuchung durch die Online-Plattform chess.com. Der 72-seitige Bericht kommt zum Schluss, dass Niemann vermutlich bei über hundert Online-Schachpartien geschummelt und nur dank Computerhilfe gewonnen hat.

Untersuchungsbericht belastet Niemann schwer

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Legende: Hans Niemann/Instagram

Der umstrittene Schach-Grossmeister Hans Niemann soll in mehr als 100 Online-Partien betrogen haben. Das geht aus einem Untersuchungsbericht des Portals chess.com hervor. Nach Angaben des Wall Street Journal hat Niemann die Anschuldigungen in dem Bericht zugegeben und wurde für einige Zeit von der sowohl bei Amateuren als auch Schachgrossmeistern beliebten Seite ausgeschlossen.

Den Angaben zufolge hat Niemann zuletzt 2020 betrogen und das auch bei Turnieren, in denen es um Preisgelder ging (dpa).

Um zu ihrem Verdikt zu kommen, hat die Online-Plattform umfangreiche Datenauswertungen vorgenommen. «Dabei lassen sich Unregelmässigkeiten erkennen und auch, wenn jemand genau so spielt wie die besten Computer oder sogar wie ein bestimmtes Computerprogramm», sagt der Internationale Schachmeister Richard Forster.

Letztlich seien dies aber nur Indizien und keine Beweise. Niemann hat bereits zugegeben, zweimal als Teenager im Alter von zwölf und 16 Jahren bei Online-Partien betrogen zu haben, nie jedoch in Präsenz am Schachbrett.

Doch wie funktioniert Schummeln beim Schach überhaupt? «Letztlich geht es darum, dass man seine eigene Spielkraft verbessert, indem man unerlaubte Hilfsmittel beizieht. Nämlich Schachprogramme, von denen die besten mittlerweile viel stärker als der Weltmeister spielen», erklärt Forster.

Der Hauptfaktor für die Überlegenheit der Maschine gegenüber dem Menschen liegt in der gestiegenen Rechenkraft heutiger Computer. «Diese hat sehr vieles ermöglicht, was früher nur theoretische Modelle waren.»

Kasparow 1997 beim zweiten Aufeinandertreffen mit Deep Blue in New York
Legende: Inzwischen braucht es keine Grossrechner mehr, wie etwa beim legendären Duell zwischen Garry Kasparow und Deep Blue. 1996 gelang es diesem, als erster Schachcomputer einen amtierenden Weltmeister zu schlagen. «Weltmeisterliche» Programme laufen heute auf jedem Smartphone. Keystone/AP/Adam Nadel

Zug um Zug schaffe es die Software heute, die «Explosion an kombinatorischen Möglichkeiten» vorauszuberechnen – und das sehr viel schneller und weiter als der menschliche Kontrahent. «In der Vergangenheit hatten die Programme grosse Mühe, am Ende dieser Variantenbäume ein gutes Urteil zu fällen.»

Je besser die Spieler, umso unwahrscheinlicher wird Betrug. Denn ein professioneller Spieler riskiert seine Lebensgrundlage, wenn er auffliegt.
Autor: Richard Forster Internationaler Schachmeister

Es lässt sich nur schwer abschätzen, wie verbreitet solche Betrügereien sind. Bei Amateuren sei die Verlockung gross, auf technische Hilfsmittel zurückzugreifen, so der Schachmeister. «Je besser die Spieler, umso unwahrscheinlicher wird Betrug. Denn ein professioneller Spieler riskiert seine Lebensgrundlage, wenn er auffliegt.»

Bei Turnieren, bei denen die Spieler vor Ort gegeneinander spielen, ist Betrug ungleich schwieriger. Bei internationalen Turnieren werden die Spieler in der Regel wie am Flughafen durchleuchtet. «Sie werden am Eingang auf Elektronik wie versteckte Empfänger im Ohr kontrolliert», so Forster. Der Aufwand, diese Hürden zu umgehen, sei beträchtlich.

Intellektuelle Höhenflüge mit «Computer-Doping»

Anders als etwa in der Leichtathletik wird man durch «Computer-Doping» nicht nur etwas besser. «Damit hat man die Möglichkeit, viel besser als der Weltmeister zu spielen. Wenn das jemand macht, fliegt er sofort auf.» Betrügen will also gelernt sein, und es bedarf des ein oder anderen allzu menschlichen Schachzugs, um keinen Verdacht zu erregen.

Schachspieler bewegt Figuren
Legende: Überspieler machen sich verdächtig: Wer sein normales Leistungslevel im Schach plötzlich in ungeahnte Höhen schraubt, gleicht einem limitierten 100-Meter-Läufer, der plötzlich den Weltrekord pulverisiert. Keystone/EPA/Facundo Arrizabalaga

Und doch, schliesst Forster mit einer philosophischen Note: «Ich bin überzeugt, dass der menschliche Geist immer gieriger wird. Vor allem, wenn er sieht, wie einfach es möglich ist, zu betrügen. Irgendwann überschreiten die meisten die Grenze und fliegen auf.»

Echo der Zeit, 05.10.2022, 18 Uhr;

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