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Neuer Präsident Brasiliens «Lula muss die Militärs von zivilen Posten zurückdrängen»

Knapp drei Wochen nach der Erstürmung des Präsidentenpalasts in Brasilia durch Anhänger des abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro ist Brasilien daran, die Ereignisse aufzuarbeiten. Untersucht wird etwa die Rolle von Polizei und Militär.

Bereits hat der neue Präsident, Lula da Silva, 80 ranghohe Militärs entlassen. Die Politologin und Brasilien-Kennerin Claudia Zilla glaubt jedoch nicht, dass dies ein Beleg für eine Beteiligung der Armee an dem Aufstand ist.

Claudia Zilla

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Die Politologin Claudia Zilla ist bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin ( SWP ) Spezialistin für Lateinamerika und die Karibik.

SRF News: Wie steht Präsident Lula da Silva zur Armee?

Claudia Zilla: Es war schon zuvor klar, dass Lula ein eher gespanntes Verhältnis zu den Militärs hat und Entlassungen vornehmen würde. Vielleicht war die Erstürmung des Präsidentenpalastes durch die Bolsonaro-Anhängerinnen und -Anhänger am 8. Januar also bloss ein guter Anlass für Lula, um das Militärpersonal auszuwechseln.

Welche Rolle das Militär am 8. Januar möglicherweise gespielt hat, muss erst noch untersucht werden.

Es muss aber erst noch untersucht werden, welche Rolle die Armee beim Sturm auf den Präsidentenpalast möglicherweise gespielt hat.

Lula hatte den jetzt entlassenen Armeechef, General Julio Cesar de Arruda, kurz vor Ende seiner letzten Amtszeit einst selber ernannt. Wieso hat er ihn jetzt wieder entlassen?

Cesar de Arruda trägt als Armeechef sicher eine gewisse Verantwortung für das, was am 8. Januar passiert ist. Lula hat jetzt zwei Aufgaben: erstens, die Militärs von zivilen Posten in Verwaltung und Politik zurückzudrängen. Und zweitens muss er in der Armee selber Leute installieren, mit denen er zusammenarbeiten kann.

Wie ist die Stimmung in der Armee gegenüber Lula da Silva?

Man kann davon ausgehen, dass in der Armee eine Mehrheit für Bolsonaro gestimmt hat. Unter der Regierung von Bolsonaro haben Militärs immer mehr zivile Posten übernommen und Privilegien erhalten.

Jetzt geht es darum, das System zwischen Regierung und Armee neu auszutarieren.

Dass das mit Lula ändern würde, war ihnen wohl klar. Jetzt geht es darum, das System neu auszutarieren, damit die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Armee funktioniert.

Welches Verhältnis hatte Lula während seiner ersten Amtszeit 2003 bis 2010 zur Armee?

Es war eine andere Zeit, die Armee war im Ausland an Friedensmissionen beteiligt. Aber es ist nicht überraschend, dass Lula als Vertreter der linken Arbeiterpartei kein unkompliziertes Verhältnis zu den Streitkräften hat. Schliesslich gab es einst von 1964 bis 1985 eine Militärdiktatur, unter welcher auch Lulas Arbeiterpartei zu den Verfolgten gehörte.

Hat sich die Situation durch den Sturm auf den Präsidentenpalast jetzt also wieder verschärft?

Nicht unbedingt, aber die Probleme wurden sichtbar – vor allem jenes, wie stark die Militärs in der brasilianischen Zivilgesellschaft geworden sind.

Es ist nicht Aufgabe des Militärs, die Arbeit der Wahlbehörde zu überprüfen!

So gab es bei der letzten Präsidentenwahl beispielsweise eine zur Wahlbehörde parallele Zählung der Stimmen durch das Militär – und alle waren erleichtert, als das Militär bekannt gab, dass das Ergebnis der Wahlbehörde stimme. Doch es ist doch nicht Aufgabe des Militärs, die Arbeit der Wahlbehörde zu überprüfen! Das Beispiel veranschaulicht deutlich, in welcher Situation sich Brasilien befindet, was die zivil-militärischen Beziehungen angeht.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

Echo der Zeit, 25.01.2023, 18:00 Uhr ; 

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