In der serbischen Politik brodelt es. Das Land erlebte im Sommer die grössten Demonstrationen seit über zwei Jahrzehnten – mit über 50'000 Menschen. Präsident Aleksandar Vucic steht unter grossem Druck. Durch einen Wahlsieg bei vorgezogenen Parlamentswahlen am 17. Dezember erhofft er sich jetzt neuen Schub und neue Legitimation.
Nüchtern betrachtet ist es sehr unrealistisch, dass Vucics Fortschrittspartei die Macht verlieren könnte: Die Opposition hat kaum Zugang zu den Massenmedien. In den grossen Medienhäusern hat die Vucic-Partei das Sagen und dürfte das ausnützen.
Einen Wahlkampf mit einer öffentlichen Debatte zwischen Regierung und Opposition nach westeuropäischem Muster wird es also erneut nicht geben. Faire Wahlen sind nicht gewährleistet. Viele Fachleute bezeichnen Serbien längst nicht mehr als Demokratie, sondern als hybrides Regime mit demokratischen Merkmalen, das sich auf autokratische Herrschaft stützt.
Kosovo: Auslöser und Wahlkampfvehikel
Der verschärfte Konflikt mit Kosovo spielt stark in den Entscheid hinein, das Parlament gerade jetzt aufzulösen. Denn es war Milan Radojcic, ein Vertrauter von Präsident Vucic, der dort im September mit 30 Männern einen Aufstand anführte und dabei einen kosovarischen Polizisten tötete. Vucic dementierte, involviert gewesen zu sein. Doch für alle wurde sichtbar, dass der Präsident Serbiens gemeinsame Sache mit dem organisierten Verbrechen macht.
Zugleich ist Kosovo das grosse Wahlkampfthema für Vucic, denn damit kann er das Wahlvolk am besten hinter sich bringen. «Kosovo und Metohija», wie dieses Gebiet in Serbien heisst, wird dort als serbische Provinz und nicht als unabhängiger Staat betrachtet. Vucic wird das Wahlvolk fragen, ob es Kosovo aufgeben will – im vollen Wissen, dass die allermeisten Wahlberechtigten das nicht wollen.
Opposition: weniger schwach als auch schon
Die Opposition ist aktuell etwas besser aufgestellt als vor drei Jahren, als sie die Wahlen boykottierte und dadurch fast allen Einfluss auf die Politik verlor. Zum Wiedererstarken der Opposition führten vor allem die riesigen Demonstrationen im Sommer. Die vom losen Bündnis «Serbien gegen Gewalt» organisierten Kundgebungen haben in den Köpfen vieler Menschen etwas bewegt.
Ungeachtet dessen ist aber die Opposition sehr divers und zersplittert von links- bis rechtsextrem. Entsprechend dürfte der Plan von Vucic aufgehen. Die meisten Fachleute in Serbien gehen davon aus, dass er sich mit den Neuwahlen im Dezember die Macht sichern kann.
Kalkuliertes Risiko
Aleksandar Vucic ist ein Fuchs, seit 30 Jahren in der Politik. In dieser Zeit hat er eine enorme Macht angehäuft. Vorgezogene Wahlen würde er nicht riskieren, wenn er unsicher wäre, zu gewinnen. Alles andere als ein Sieg von Vucic wäre also eine Riesenüberraschung.
Laut Umfragen dürfte seine Fortschrittspartei aber Parlamentssitze verlieren. Sie wird dann wahrscheinlich eine zweite Partei zur Regierungsbildung brauchen. Dies werden höchstwahrscheinlich die Sozialisten sein, was ein kleiner Machtverlust für Vucic bedeuten würde.