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Vom Friedensnobelpreisträger zum Diktator?
Aus Echo der Zeit vom 10.06.2020. Bild: Keystone
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Nobelpreisträger unter Druck Viele Äthiopier sind von Abiy Ahmed enttäuscht

Der Hoffnungsträger und Friedensnobelpreisträger regiert zunehmend repressiv. Wandelt er sich zum Diktator?

In Äthiopien kann die Polizei gnadenlos sein. Der Aktivisten-Anführer Jawar Mohamed erzählt von Ereignissen der letzten Wochen: «Sie haben zwei Männer festgenommen und getötet – richtiggehend exekutiert.» Einen anderen hätten Sicherheitskräfte aus einem Büro gezerrt, wenig später sei er tot aufgefunden worden. «Es scheint, sie haben einen Blankoscheck.»

Die Sicherheitskräfte scheinen einen Blankoscheck zu haben.
Autor: Jawar Mohamed Aktivisten-Anführer und Abiy-Kritiker

Jawar ist einer der lautesten Kritiker von Premierminister Abiy Ahmed und Vorbild vieler junger Männer der Oromo-Ethnie. Dem Mann mit zwei Millionen Facebook-Freunden wird aber auch vorgeworfen, den Konflikt zu schüren.

Kritik von Amnesty International

Die Oromo fordern mehr Unabhängigkeit vom Mutterstaat und geraten darum ins Visier der Sonderpolizei. Amnesty International spricht von 39 Todesfällen letztes Jahr. Sie kritisiert den Premier und Nobelpreisträger Abiy dafür scharf.

Abiy und seiner Frau winken bei Nacht von einem Balkon.
Legende: Im Dezember 2019 reiste Abiy zusammen mit seiner Frau nach Oslo, um den Friedensnobelpreis in Empfang zu nehmen. Reuters

Vor zwei Jahren kam Abiy in der Entwicklungsdiktatur Äthiopien überraschend an die Macht. Umgehend stellte er das Land auf den Kopf: Die alte Machtelite trat ab, plötzlich galt Redefreiheit, Rebellengruppen durften zurück ins Land und sich als Parteien registrieren. Und er versprach freie Wahlen. «Er hat das versprochen, aber heute sagt er: Vergiss die Demokratie», beklagt Jawar. Denn Abiy wisse wohl selbst, dass er kaum wiedergewählt würde. Deshalb klammere er sich an die Macht.

Wahlen verschoben, Redefreiheit eingeschränkt

Heute hat das Parlament die Amtszeit von Präsident und Regierung um ein Jahr verlängert. Als Begründung dient das Coronavirus. Eigentlich hätten im August Wahlen stattfinden sollen. Äthiopien tritt auf der Stelle. Auch wirtschaftlich. Und viele frühere Anhänger Abiys sind ernüchtert.

Die Erwartungen an Abiy waren viel zu hoch.
Autor: Asnake Kefale Politologie-Professor an der Universität von Addis Abeba.

Politologie-Professor Asnake Kefale von der Universität in Addis Abeba relativiert. Im Vergleich zum vorherigen Regime sei die Situation immer noch viel besser. «Doch die Erwartungen an Abiy waren viel zu hoch», so Asnake.

Vor allem manifestiere sich derzeit ein grosses Problem im lange autokratisch regierten Äthiopien: «Es gibt keine Kompromiss-Kultur.» Die politischen Akteure seien nicht fähig, einen gemeinsamen Fahrplan zu kreieren. Man rede nicht miteinander, zudem seien viele Gruppierungen radikal, sagt er.

Die Tigray fühlen sich unterdrückt

Da ist etwa die Volksgruppe der Tigray im Nordosten des Landes. Jahrelang kontrollierte ihre Partei das Land. Nun fühlt sie sich marginalisiert. Diese Woche trat die Parlamentspräsidentin, eine Tigray-Politikerin, zurück. Sie wirft Premier Abiy autoritäre Tendenzen vor. Die Partei will im August denn auch – trotz Corona – Regionalwahlen in Äthiopien durchführen lassen.

Menschen feiern.
Legende: Die Äthiopier freuten sich mit Abiy, als diesem im Dezember 2019 in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Reuters

Schon vor Corona sei die Regierung kaum motiviert gewesen, die Wahlen rechtzeitig durchzuführen, kritisiert der Tigray-Analyst Daniel Berhane. «Sie hatte zwei Jahre Zeit und hat es trotzdem nicht auf die Reihe gekriegt.»

«Viele haben Angst, dass Abiy sich zum Diktator wandelt. Aber ich glaube eher, dass Äthiopien einfach zu einem dysfunktionalen Staat wird», so Berhane weiter. Der Premier werde sich in der Hauptstadt verschanzen und an Einfluss verlieren, glaubt er. Es werde schwierig, das Land wieder zu vereinen.

Echo der Zeit, 10.6.2020, 18 Uhr

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