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Nordirland-Protokoll Handelsstreit mit Briten: Dazu ist die EU bereit

Seit Monaten schwelt zwischen London und Brüssel ein Streit über den Sonderstatus der britischen Provinz Nordirland. Schafft es die EU-Kommission heute, für ein Ende des Konflikts vorzuspuren? Sechs Fragen und Antworten.

Weshalb ist es zum Streit zwischen London und Brüssel gekommen? Waren, die von England, Schottland oder Wales in die britische Provinz Nordirland gelangen, müssen angemeldet und teilweise kontrolliert werden. So sieht es das sogenannte Nordirland-Protokoll vor. Doch das Abkommen ist der Regierung in London sowie den nordirischen Anhängern der Union mit Grossbritannien ein Dorn im Auge. London will sich nicht mehr an EU-Standards binden.

Worum geht es denn im Nordirland-Protokoll genau? Mit diesem Abkommen gelang im jahrelangen Streit um die frühere Bürgerkriegsregion Nordirland während der Austrittsverhandlungen ein Durchbruch. Die Kernbotschaft: Trotz Brexit folgt die britische Provinz weiterhin den Regeln des EU-Binnenmarkts und der Zollunion. Das Ziel: eine harte EU-Aussengrenze zwischen EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland verhindern – und einem neuerlichen Ausbruch des Konflikts um eine Wiedervereinigung der Insel zuvorkommen. Damit wurde de facto eine Zollgrenze innerhalb des Vereinigten Königreichs geschaffen.

Die Europäische Kommission könnte heute den Konflikt entschärfen – inwiefern? Erwartet wird, dass Maros Sefcovic, der Brexit-Beauftragte der EU, einen Katalog von Massnahmen präsentieren wird. Mit diesen sollen die Schwierigkeiten im innerbritischen Handel minimiert werden, die durch das sogenannte Nordirland-Protokoll entstanden sind. Berichten zufolge dürften dazu Ausnahmen für einzelne Produkte – etwa gewisse Lebensmittel und Medikamente – gehören. Nicht zur Debatte stehen dürfte eine grundsätzliche Neuverhandlung des Protokolls.

Wird dieser Vorschlag London besänftigen? Das ist fraglich. Der britische Brexit-Minister David Frost hat am Dienstag die Ablösung des Protokolls gefordert. Er verlangte unter anderem, die Rolle des Europäischen Gerichtshofs als Instanz für die Überwachung der Regeln des Protokolls müsse enden. Frost hatte ferner auch erneut damit gedroht, Teile des Protokolls mit einem Notfallmechanismus ausser Kraft zu setzen.

Wie sind diese Forderungen aus London einzuordnen? Es ist unwahrscheinlich, dass die EU-Kommission die Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs stark limitieren wird. Dieser Punkt ist nach Ansicht von Experten aus Brüsseler Sicht nicht verhandelbar. Die Forderung steht überdies im Widerspruch zu dem, was Brexit-Minister David Frost selbst bei Aushandlung des Protokolls zugestanden hatte. 

Die Einschätzungen unserer Korrespondenten

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EU-Korrespondent Charles Liebherr: Die EU schlägt zwar vor, die praktische Umsetzung des Nordirland-Protokolls massiv zu vereinfachen. Diese mache Brüssel auf Basis der Erfahrungen der letzten Monate und auf Grundlage von vielen Gesprächen mit Betroffenen in den letzten Wochen. «Aber die EU ist nicht bereit, das Nordirland-Protokoll an sich zu verhandeln.» Der britische Brexit-Minister Frost stellt den Europäischen Gerichtshof infrage. Dieser solle nicht mehr für Streitigkeiten verantwortlich sein. «Auch dieser Punkt ist für die EU nicht verhandelbar», sagt Liebherr. Nordirland sei Teil des EU-Binnenmarktes und müsse sich damit auch an alle Regeln des Rechtsraums halten.

Grossbritannien-Korrespondent Patrik Wülser: Wenn Waren des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel oder Medikamente künftig ohne Zollkontrollen passieren könnten, scheint das ein praktischer Vorschlag der EU zu sein. Bei der nordirischen Bevölkerung komme dies auch durchaus gut an, sagt Wülser. «Viele Alltagssorgen würden dadurch mehr oder weniger beseitigt – vom Aufschrei über die berühmten Frühstückswürstchen bis zu Magentropfen für den kranken Kater, die plötzlich doppelt so viel kosten.» Die Grundsatzablehnung durch Brexit-Minister Frost werde denn auch durchaus kritisch betrachtet in der britischen Bevölkerung.

Was, wenn der Konflikt doch eskaliert? Experten warnen vor einem drohenden Handelskrieg zwischen Brüssel und London. Analyst Mujtaba Rahman vom Beratungsunternehmen Eurasia Group etwa glaubt, dass eine drastische Massnahme vonseiten der EU immer wahrscheinlicher wird. Sollte London das Nordirland-Protokoll infrage stellen, stehe auch das Handelsabkommen auf der Kippe.

SRF 4 News, 13.10.2021, 01:00 Uhr ; 

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