«Ohne die Postschiffe gehen hier bei uns die Lichter aus», sagt Kenneth Stålsett und verzieht das Gesicht. Der 43-jährige Innovationsexperte leitet das Barents-Sekretariat in Kirkenes an der norwegisch-russischen Grenze.
Er tut sich schwer mit dem Gedanken, dass im nächsten Jahrzehnt vielleicht keine Postschiffe der sogenannten Hurtigrute in den äussersten Nordosten des Landes kommen könnten: «Diese versorgen uns tagtäglich mit Gästen und Gütern und sind auch ein Symbol für den Zusammenhang des Landes.»
Jeden Morgen kurz vor neun Uhr hören die knapp zehntausend Einwohnerinnen und Einwohner den charakteristischen Klang des Postschiffhorns. Drei lange und zwei kurze Signale kündigen an, dass bald der Wendepunkt der sechstägigen und fast 5000 Kilometer langen Reise entlang der norwegischen Küste erreicht ist.
Im Fahrwasser der Politik
«Die Einhaltung des Fahrplanes hat für uns oberste Priorität», sagt Svein-Erik Olsen, Kapitän der «Havila Pollux», einem von insgesamt elf Schiffen der Flotte, die neuerdings von zwei verschiedenen Reedereien gefahren werden: Der traditionsreichen Hurtigruten AS und der neugebildeten Havila Kystruten AS.
In jedem der 34 Häfen entlang der Küste, welche die «Pollux» gemeinsam mit den anderen Schiffen 365 Tage im Jahr anfährt, herrscht wenige Tage vor den Parlamentswahlen eine grosse Verunsicherung: Denn das in der Öffentlichkeit äusserst populäre Postschiffsystem steht auf dem Prüfstand.
Nicht nur die Konkurrenz von privaten Kreuzfahrtschiffen macht den Postschiffen zu schaffen. Zudem stellt die südnorwegisch geprägte Politik die staatlichen Zuschüsse an den Schiffsverkehr im Norden infrage. Hinzu kommen Sicherheitsbedenken im grenznahen Gewässer zu Russland. Das Postschiff-Zittern zeigt damit auch exemplarisch, mit welchen Herausforderungen Norwegens Politik zu kämpfen hat.
Ein grosser Bericht zum künftigen Verkehr (ab dem Jahr 2030) wird von der aktuellen sozialdemokratischen Regierung noch unter Verschluss gehalten. «Vor allem die älteren Schiffe der Flotte dürften wohl den neuen Umweltanforderungen nicht mehr Genüge leisten und müssten erneuert werden», schätzt Kapitän Olsen die Lage ein und fügt hinzu: «Zudem sind wir für die Aufrechterhaltung dieses Verkehrs auf die staatlichen Zuschüsse angewiesen, welche etwa einem Drittel des Umsatzes entsprechen.»
Wie ein modernes Postschiff funktionieren kann, macht Kapitän Olsens «Pollux» deutlich: «Wir fahren im Hybridmodus aus Flüssiggas und Strom.» Im Bauch des Schiffes befinden sich zwei über 80 Tonnen schwere Batterien, die dazu beitragen, dass die «Pollux» fast lautlos und mit geringen Schadstoffemissionen durch die zahlreichen Meerengen und Fjorde des nordischen Landes verkehren kann.
Auch an Bord ist das Konzept modernisiert worden: Statt an üppigen Speisebuffets wird der Hunger der Gäste durch individuell bestellte und am Tisch servierte Häppchen von lokalen Produzenten entlang der Küste gestillt: «Unser Ziel ist es, dass keine Lebensmittel mehr weggeworfen werden.»
Im Grund passt das norwegische Postschiffsystem bestens zu den aktuellen und künftigen Bedürfnissen Norwegens: Denn nördlich des Polarkreises am 66. Breitengrad gibt es weder Zuggleise noch durchgehende Strassenverbindungen. Die Ortschaften liegen oft sehr weit voneinander entfernt.
Und das Wetter macht vor allem in den langen Wintermonaten viele Kapriolen: «Im letzten Winter war die Strasse zum Nordkapp über 100 Mal gesperrt und die Propellerflugzeuge mussten bei der Hälfte der Flüge die Landungen kurzfristig abbrechen», sagt Gina Johansen, die mit ihrer Familie in Honningsvåg, Norwegens nördlichster Stadt gleich unterhalb des Nordkapps; lebt.
Während es wegen Russland zwar zunehmende Sicherheitsbedenken für die grenznahe Schifffahrt gibt, schafft die neue Geopolitik aber auch Voraussetzungen, die gegen eine Schwächung der Verkehrsverbindungen im höchsten Norden sprechen. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor dreieinhalb Jahren haben sich die langen, gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Norwegen und Russland radikal abgekühlt.
Milliarden für die zivile und militärische Bereitschaft
Zwar bildet der Grenzübergang Storskog wenige Kilometer ausserhalb von Kirkenes noch die letzte offene Übergangsstelle zwischen der östlichen Grossmacht und Westeuropa, doch im Unterschied zu wenige Jahre vorher passieren nur ganz wenige Menschen die schwer bewachte Trennlinie. Stattdessen investiert die Verteidigungsallianz Nato, der Norwegen schon seit Beginn im Jahre 1949 und neuerdings auch die Nachbarländer Finnland und Schweden angehören, Milliarden in die militärische und zivile Bereitschaft an der Barentssee. Diese Aufstockung an Militär- und Zivilpersonen erfordert eine wetterfeste und regelmässige Verbindung in die Region.
Auf halbem Weg der Hurtigrute in Bodø wird besonders deutlich, welche Bedeutung die Postschiffe für Norwegen bis heute haben: «Unsere Züge sind sehr unzuverlässig, fast alle Strecken sind eingleisig und störanfällig», sagt Jitse Buitink, Vizebürgermeister der Insel-Gemeinde Andöy weit draussen im Nordmeer, wo er auch als Leuchtturmwächter wirkt.
An einer Wahlveranstaltung in der Provinzhaupstadt Bodø, dem nördlichen Endpunkt des norwegischen Eisenbahnnetzes, macht sich Buitink dafür stark, dass mehr staatliche Mittel in die Infrastruktur entlang der Küste fliessen – damit das Horn der Postschiffe die Menschen entlang der norwegischen Küste auch in Zukunft erfreuen kann.