Der Heldenplatz in Wien ist der heimliche Hauptplatz der Republik Österreich: für die Regierung, die hier Paraden und Staatsempfänge durchführt; aber auch für die Opposition, die sich hier für Demonstrationen trifft. Das Wahrzeichen des Heldenplatzes ist der Altan der Hofburg, im Volksmund auch «Hitler-Balkon» genannt.
Obwohl: Ein Balkon ist es eigentlich nicht, eher eine Terrasse. 200 Quadratmeter, grauer Stein, ein Taubennetz und ein Vorhängeschloss.
Angst vor Rechtsextremen
1938 verkündete der «Führer» hier vor angeblich 250'000 fanatisch jubelnden Personen den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland. Es folgten grausame Jahre der Barbarei und mit Millionen von Toten. Nach Kriegsende wurde die Erinnerungstafel an Hitler und seine Rede entfernt und der Balkon gesperrt.
80 Jahre ist das her. Bis heute darf niemand den Balkon betreten. Die dafür verantwortliche Burghauptmannschaft untersteht dem Wirtschaftsministerium. Ihre offizielle Begründung lautet, die baulichen Sicherheitsvorschriften würden eine Öffnung des Balkons nicht zulassen.
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Bild 1 von 2. Der sogenannte «Hitler-Balkon» am Wiener Heldenplatz misst rund 200 Quadratmeter und bietet eine eindrucksvolle Aussicht über die Wiener Innenstadt. Bildquelle: SRF / Peter Balzli.
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Bild 2 von 2. Monika Sommer ist Direktorin des Museums mit dem Namen «Haus der Geschichte Österreich». Sie setzt sich für die Wiedereröffnung des Balkons ein: «Wir müssen diesen Ort zurückholen.». Bildquelle: SRF / Peter Balzli.
Doch die Sicherheit ist höchstens die halbe Wahrheit. Tatsächlich fürchten sich die Verantwortlichen vor der Vereinnahmung des Altans durch Rechtsextreme.
Ikone der Mitverantwortung
Hinter dem Balkon ist seit 2018 ein Museum namens «Haus der Geschichte Österreich» (HDGÖ) untergebracht, das die Vergangenheit Österreichs kritisch beleuchtet.
Solange an diesem Ort nichts zu sehen ist, lässt er sich von rechts vereinnahmen.
Auch seine Direktorin Monika Sommer darf den Balkon nicht betreten. Das will sie jetzt ändern. Sie sagt: «Es ist an der Zeit, einen neuen Umgang mit diesem Ort zu finden. Dieser Ort ist die Ikone der österreichischen Mitverantwortung. Und wir sollten den Mut haben, eine neue Praxis im Umgang damit zu finden.»
Karin Harrasser, Professorin für Kulturwissenschaft an der Kunstuniversität Linz, sagt: «Solange an diesem Ort nichts zu sehen ist, lässt er sich von rechts vereinnahmen. Wir haben das vor zwei Jahren gesehen, als die FPÖ-Jugend ein Youtube-Video lanciert hat, in dem alle plötzlich so suggestiv auf den Altan geblickt haben, als würden sie auf den Führer warten.»
Der Balkon ist ein wunderbarer Ort, um Demokratie zu vermitteln.
Das «Haus der Geschichte Österreich» hat jetzt drei Kunstinstallationen vorgestellt für den berühmtesten Balkon Österreichs. Die Befürchtung vieler, dass Besucherinnen und Besucher auf dem Balkon Hitlergrüsse machen und auf sozialen Medien veröffentlichen könnten, teilt die Direktorin nicht: Ein Hitlergruss sei in Österreich durch das Wiederbetätigungsgesetz ohnehin verboten.
«So eine Person muss angezeigt und bestraft werden», sagt Sommer. «Wir müssen uns diesen Ort zurückholen. Es ist ein wunderbarer Ort, um Demokratiebewusstsein und Demokratiegeschichte zu vermitteln.»
Dass die drei Ideen der Kunstschaffenden umgesetzt werden, ist unwahrscheinlich. Die Vorschläge seien eher eine «Einladung zum Nachdenken», sagt Museumsdirektorin Monika Sommer.
Es geht darum, eine aktive Auseinandersetzung zu fördern und immer wieder neu auf diese Orte zu blicken
Auch Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser warnt vor zu hohen Erwartungen: «Es gibt manchmal die Idee, mit einer künstlerischen Intervention sei ein problematischer Ort automatisch dekontaminiert. Das glaube ich nicht. Es geht immer darum, eine aktive Auseinandersetzung zu fördern und immer wieder neu auf diese Orte zu blicken.»
Sicher ist: Der «Hitler-Balkon» bereitet Österreich auch 80 Jahre nach Kriegsende grösstes Kopfzerbrechen.