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Österreich «Hitler-Balkon» in Wien bleibt 80 Jahre nach dem Krieg tabu

Der Balkon der Wiener Hofburg ist seit 1945 gesperrt. Die Direktorin des dahinter liegenden Museums möchte ihn öffnen.

Der Heldenplatz in Wien ist der heimliche Hauptplatz der Republik Österreich: für die Regierung, die hier Paraden und Staatsempfänge durchführt; aber auch für die Opposition, die sich hier für Demonstrationen trifft. Das Wahrzeichen des Heldenplatzes ist der Altan der Hofburg, im Volksmund auch «Hitler-Balkon» genannt.

Detailansicht der Fassade eines historischen Gebäudes mit Säulen.
Legende: Adolf Hitler verkündete im März 1938 den Anschluss Österreichs vom Altan der Wiener Hofburg – dem sogenannten «Hitler-Balkon». Keystone / ANDREEA ALEXANDRU

Obwohl: Ein Balkon ist es eigentlich nicht, eher eine Terrasse. 200 Quadratmeter, grauer Stein, ein Taubennetz und ein Vorhängeschloss.

Angst vor Rechtsextremen

1938 verkündete der «Führer» hier vor angeblich 250'000 fanatisch jubelnden Personen den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland. Es folgten grausame Jahre der Barbarei und mit Millionen von Toten. Nach Kriegsende wurde die Erinnerungstafel an Hitler und seine Rede entfernt und der Balkon gesperrt.

80 Jahre ist das her. Bis heute darf niemand den Balkon betreten. Die dafür verantwortliche Burghauptmannschaft untersteht dem Wirtschaftsministerium. Ihre offizielle Begründung lautet, die baulichen Sicherheitsvorschriften würden eine Öffnung des Balkons nicht zulassen.

Doch die Sicherheit ist höchstens die halbe Wahrheit. Tatsächlich fürchten sich die Verantwortlichen vor der Vereinnahmung des Altans durch Rechtsextreme.

Ikone der Mitverantwortung

Hinter dem Balkon ist seit 2018 ein Museum namens «Haus der Geschichte Österreich» (HDGÖ) untergebracht, das die Vergangenheit Österreichs kritisch beleuchtet.

Solange an diesem Ort nichts zu sehen ist, lässt er sich von rechts vereinnahmen.
Autor: Karin Harrasser Professorin für Kulturwissenschaft, Kunstuniversität Linz

Auch seine Direktorin Monika Sommer darf den Balkon nicht betreten. Das will sie jetzt ändern. Sie sagt: «Es ist an der Zeit, einen neuen Umgang mit diesem Ort zu finden. Dieser Ort ist die Ikone der österreichischen Mitverantwortung. Und wir sollten den Mut haben, eine neue Praxis im Umgang damit zu finden.»

Karin Harrasser, Professorin für Kulturwissenschaft an der Kunstuniversität Linz, sagt: «Solange an diesem Ort nichts zu sehen ist, lässt er sich von rechts vereinnahmen. Wir haben das vor zwei Jahren gesehen, als die FPÖ-Jugend ein Youtube-Video lanciert hat, in dem alle plötzlich so suggestiv auf den Altan geblickt haben, als würden sie auf den Führer warten.»

Der Balkon ist ein wunderbarer Ort, um Demokratie zu vermitteln.
Autor: Monika Sommer Museumsdirektorin «Haus der Geschichte Österreich» (HDGÖ)

Das «Haus der Geschichte Österreich» hat jetzt drei Kunstinstallationen vorgestellt für den berühmtesten Balkon Österreichs. Die Befürchtung vieler, dass Besucherinnen und Besucher auf dem Balkon Hitlergrüsse machen und auf sozialen Medien veröffentlichen könnten, teilt die Direktorin nicht: Ein Hitlergruss sei in Österreich durch das Wiederbetätigungsgesetz ohnehin verboten.

«So eine Person muss angezeigt und bestraft werden», sagt Sommer. «Wir müssen uns diesen Ort zurückholen. Es ist ein wunderbarer Ort, um Demokratiebewusstsein und Demokratiegeschichte zu vermitteln.»

Kunst für den «Hitler-Balkon»

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Das «Haus der Geschichte Österreich» hat am 22. April drei Kunstprojekte für den «Hitler-Balkon» präsentiert:

  • Der Vorschlag des Künstlers Franz Wassermann besteht darin, einen Felsblock aus dem Steinbruch des Konzentrationslagers Mauthausen auf den Balkon zu stellen.
  • Das Projekt der Künstlerin Gabriele Edlbauer sieht vor, den Balkon von aussen nach innen zu wenden und so ins Museum zu integrieren.
  • Der dritte Vorschlag des Künstlertrios Ramesch Daha, Fabian Antosch und Philipp Oberthaler würde den Balkon mit einer Glasplatte decken und so symbolisch die Selbstüberhöhung der Menschen verunmöglichen.

Auch die Künstlerinnen und Künstler durften den Balkon für ihr Projekt nicht betreten. Ramesch Daha kommentiert das Zutrittsverbot so: «Ich finde das höchst problematisch. Die Denkmalkultur ist ohnehin etwas schwierig in Österreich. Und wenn man sich vorstellt, dass wir immer noch mit der Aufarbeitung der Geschichte beschäftigt sind, ist es eigentlich ein Skandal.»

Dass die drei Ideen der Kunstschaffenden umgesetzt werden, ist unwahrscheinlich. Die Vorschläge seien eher eine «Einladung zum Nachdenken», sagt Museumsdirektorin Monika Sommer.

Es geht darum, eine aktive Auseinandersetzung zu fördern und immer wieder neu auf diese Orte zu blicken
Autor: Karin Harrasser Professorin für Kulturwissenschaft, Kunstuniversität Linz

Auch Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser warnt vor zu hohen Erwartungen: «Es gibt manchmal die Idee, mit einer künstlerischen Intervention sei ein problematischer Ort automatisch dekontaminiert. Das glaube ich nicht. Es geht immer darum, eine aktive Auseinandersetzung zu fördern und immer wieder neu auf diese Orte zu blicken.»

Sicher ist: Der «Hitler-Balkon» bereitet Österreich auch 80 Jahre nach Kriegsende grösstes Kopfzerbrechen.

Tagesschau, 7.5.2025, 19:30 Uhr; sten

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